Detlef Hensche

IG Medien
IG Medien
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Betriebsrati
Unternehmeni
Werkarbeiti
Leiharbeiti
Arbeiter_ini
Industrie-/Berufsgewerkschafti
Arbeitsverhältnisi
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Video 2 – 3:04
Streiki
Industrie-/Berufsgewerkschafti
Betriebsverfassungsgesetzi
Video 3 – 2:32
Streiki
Solidaritäti
Der dritte … das dritte organisationspolitische Vorhaben war ver.di und damit denn auch das Ende der IG Medien. In den 90er Jahren zeichneten sich weitere Veränderungen im DGB ab, (kleine Pause) ganz überwiegend nicht etwa auf dem Hintergrund dieses mehr oder weniger organischen Zusammenwachsens der IG Medien. Also die IG Medien war immerhin die Antwort auf eine Branchenveränderung. Insofern war sie zwangsläufig, um Willy Brandt zu zitieren, das wuchs zusammen, was zusammen gehörte, bei der Gründung der IG Medien. Bei den Fusionen der 90er Jahre ging’s im Grunde ums nackte Überleben. Also als die Gewerkschaft Textil sich entschloss, unter die Fittiche der IG Metall zu krabbeln (leicht lachend) oder die Gewerkschaft Holz und Kunststoff, ging’s im Grunde darum, dass man erkannte, alleine schaffen wir's nicht mehr. Und ein Stück weit war das auch bei der ver.di-Gründung der Fall. Auch wir hatten Probleme, Mitgliederrückgang, obwohl der gar nicht mal so dramatisch war. In Parenthese: Die Gewerkschaften werden immer gemessen, das ist auch so eine statistische Lüge, wann immer Mitgliederstatistik aufgemacht wird in der Zeitung, ist das Basisjahr immer 1990. Da werden dann zugerechnet den westdeutschen Gewerkschaftsmitgliedern 3 Millionen Ostdeutsche, die im Grunde nur Karteileichen waren, die nie real ... real Mitglieder gewesen waren. Und die auch innerhalb von anderthalb Jahren im Wege der Bereinigung wieder verschwanden. Wenn ich das jetzt mal rausrechne, dann ist der Mitgliederschwund unterproportional gemessen am Verlust von Arbeitsplätzen, aber es war ein Mitgliederschwund. Es war ein Sinken der Beitragseinnahmen bei gleichzeitig weiteren Herausforderungen, mit denen vielen Gewerkschaften zu kämpfen hatten, auch wir. Unsere Antwort war … Nein, ein zweiter Treibsatz für Veränderungen im DGB war im Grunde die Erkenntnis, dass das Fundament, auf dem die Industriegewerkschaften nach 45 wieder gegründet worden waren, erodierte. Es gab festgefügte Branchen. Es gab festgefügte Industriebetriebe. Die DGB-Gewerkschaften sind … waren Industriegewerkschaften, im Dienstleistungssektor eh kaum vertreten oder schwach, schwach vertreten, außer dem öffentlichen Dienst, und es war eine festgefügte Basis Industriebranchen, Industriebetriebe, vor allen Dingen Großbetriebe mit industrieller Arbeiterschaft. Das war der Kern der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Das war auch die … die … die Basis für Auseinandersetzungen, die Machtbasis, die Gegenmachtbasis der Gewerkschaften. Dieses Fundament zerbröselt. Das war in den 90er Jahren spürbar durch einen, a) eine Gewichtsverlagerung zum Dienstleistungssektor, auch quantitativ. Wir sind nach wie vor ein Industriestandort, werden das auch weiter bleiben, aber die Bedeutung der Industrie nimmt quantitativ und qualitativ ab. Der Großbetrieb dominiert längst nicht mehr überall. Es gibt auch viele Unternehmerstrategien der Zellteilung im Betrieb, auch um den Betriebsräten das Leben schwer zu machen. Es gibt einen Branchenwechsel. Es gibt Multibranchen, Unternehmen und Konzerne, heute der Branche zugehörig, morgen der anderen. Es gibt eine Verflüssigung des betrieblichen Arbeitsverhältnisses, der Machtbasis für Betriebsratsarbeit, nicht nur durch Prekarisierung, also auch Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, sondern auch durch neue Formen freiberuflicher Arbeit beispielsweise, Werkvertragsarbeit, Leiharbeit. Also alles das sind Erosionsentwicklungen, die die Basis gewerkschaftlicher Gegenmachtsbildung aufs ernsteste in Frage stellen oder gefährden. Es gibt Gewerkschaften, die nach wie vor fest verankert sind wie die IG Metall, die bisher relativ wenig davon berührt sind, aber andere Gewerkschaften, namentlich meine, unsere im Drucksektor ist heftig davon gebeutelt gewesen, und das gilt für Textil und andere in gleicher Weise. Also nicht nur der finanzielle Druck, sondern auch die Tatsache, dass man … dass die Basis gewerkschaftlicher Arbeit nicht mehr die stabile Struktur hatte, wie das noch in den 50er Jahren der Fall war oder in den 60er Jahren, war zwingender Anlass zu überlegen, wie denn die Gewerkschaften in Zukunft sich reformieren müssen.
Also wir haben eine Gesellschaft hier und andernorts, die vermachtet ist. Das Eigentum an Produktionsmitteln verleiht Macht über Menschen, Macht über Gesellschaften und Regionen übrigens auch. Das erleben wir ja gerade jetzt. Und wenn die Menschen (die übrigens, in Klammern hinzugefügt, tagtäglich und nächtlich den Reichtum erarbeiten, es gibt ja keinen Reichtum, keinen Wohlstand ohne Arbeit, nur die Arbeit schafft Wohlstand) wenn die Menschen, die durch ihre Hände, ihrer Köpfe Arbeit täglich diesen Wohlstand erarbeiten, ein menschenwürdiges Leben führen möchten, wenn sie ein Aus…. ein Einkommen haben möchten, von dem sie und ihre Familie ein angenehmes Leben fristen können, dann müssen sie dieses durchsetzen, durchsetzen gegen Macht in einer Gesellschaft, die verliehen ist durch Produktionsmittel, durch Eigentum an Produktionsmitteln. Solange wir diese Grundstruktur haben, sind die, die arbeiten, immer dem Direktionsrecht, der betrieblichen Herrschaft derer ausgesetzt, die Kraft Eigentums die Arbeitsorganisation bestimmen. Sie müssen ihnen gegenüber Rechte durchsetzen. Manchmal hilft der Gesetzgeber, Betriebsverfassungsgesetz beispielsweise, aber auf weiten Wegstrecken gilt das Prinzip der Selbsthilfe. Dieses Prinzip der Selbsthilfe ist übrigens Jahrhunderte alt, schon Gesellenorganisationen haben gestreikt. Der Streik hat eine längere Geschichte als die Gewerkschaften alt sind, aber dieses Prinzip ist auch das Solidarprinzip, das Selbsthilfeprinzip liegt auch dem Solidarprinzip der Gewerkschaften, der Industriegewerkschaften, der jetzigen Gewerkschaften zugrunde. Das beginnt bei den Löhnen und Gehältern und endet bei Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen. Und man sieht auch überall da, wo die Gewerkschaften schwach sind, wo Gegenmacht und Gewerkschaft ohne Gegenmacht ist undenkbar, ist wie Christentum ohne Gott, überall da, wo die Gegenmacht nicht angemessen entfaltet werden kann, haben wir die beschissensten, unmenschlichsten Arbeitsbedingungen. Haben wir selbst in diesem Wohlstandsland Bundesrepublik Hungerlöhne, Armutslöhne. Über die Grenzen mag ich gar nicht schauen. Also insofern ist die gesellschaftliche und soziale Auseinandersetzung notgedrungen eine konfliktorische, solange die Gesellschaft selbst jenseits staatlicher Demokratie nicht demokratisch verfasst ist. Betriebe sind keine demokratischen Inseln. Wir haben zwar eine parlamentarische Demokratie. Das ist auch gut so, aber unterhalb dieser parlamentarischen Demokratie gibt es feste Machtstrukturen und die sind ökonomisch begründet.
Also natürlich ist es 'ne Binsenwahrheit, dass jeder Rückblick nur durch einen subjektiven Filter eigener Akzente gesetzt … geschieht. Die Auswahl ist ja subjektiv. Und wichtig erscheint mir, wenn ich jetzt mal einen kleinen Sprung zurück mache, bei meiner Funktion in einer Einzelgewerkschaft, also erst IG Druck und Papier, später IG Medien, ganz zweifelsohne der Sektor der tarifpolitischen Konflikte, weil ich in der Tarifpolitik unverändert – trotz aller Grenzen, die man jetzt mal feststellen muss – ein ganz wesentliches Fundament auch emanzipatorischer Selbsttätigkeit sehe. Also der Streik ist eine Schule der Demokratie, eine Stunde der Demokratie, wo die Mitglieder ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Und (kleine Pause) wenn Gewerkschaften eine Funktion haben dann als dieser solidarische Zusammenschluss der Mitglieder, die ihre eigenen Geschicke dann auch notfalls im Kampf und eine kapitalistische Gesellschaft … in einer kapitalistischen Gesellschaft lässt sich nur durch Kampf etwas abtrotzen, dann auch selbst bewerkstelligen. Und deshalb stand für mich immer die Tarifpolitik absolut im Vordergrund und jenseits der Tarifpolitik auch alle Formen gewerkschaftlicher Aktivitäten, die darauf abzielten, auch Gegenmachtpositionen im Betrieb, außerhalb des Betriebes eben durch Massen, durch vielfältige Beteiligung der Akteure, um deren eigenes Schicksal's ja geht, dass ... dass sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, durchzusetzen. Also das ist … sind für mich die wichtigsten (kleine Pause) auch Kriterien gewesen für Gewerkschaftsarbeit. Darin liegt für mich auch der emanzipatorische ... die emanzipatorische Legitimation von Gewerkschaftsarbeit, weshalb ich auch denn im Rückblick nach wie vor die Stationen der Gewerkschaft, auch meiner eigenen gewerkschaftlichen Arbeit, immer wieder festmache an solchen Höhepunkten. Und die gab’s in der IG Druck und Papier, die gab’s in der IG Medien, die gab’s in der IG Metall, in anderen Gewerkschaften ja in gleicher Weise. Also da unterscheidet sich ja meine Gewerkschaft um keinen Deut von anderen Organisationen. Aber das ist für mich ein wichtiges Kriterium auch beim Rückblick auf die Geschichte.
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Detlef Ulrich Hensche wurde am 13. September 1938 in Wuppertal geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften und schloss das Studium 1966 mit dem Zweiten Staatsexamen ab. Bis 1968 war Hensche als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bonn tätig, wo er 1972 mit der Arbeit „Der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung im Recht der Sachmängelgewährleistung“ promoviert wurde.

Nach seiner Institutsstelle wechselte er für ein Jahr ins Bundesministerium für Forschung und Technologie. Von 1969 bis 1971 war Hensche als wissenschaftlicher Referent für Arbeits- und Wirtschaftsrecht am Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut des DGB in Düsseldorf beschäftigt. Ab 1971 leitete er die Abteilung Gesellschaftspolitik beim DGB-Bundesvorstand.

1975 wurde Hensche schließlich in den Geschäftsführenden Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Druck und Papier gewählt und 1983 deren stellvertretender Vorsitzender mit der Zuständigkeit für die Tarifpolitik. 1992 wurde Hensche dann Vorsitzender der 1989 zur IG Medien – Druck und Papier, Publizistik und Kunst fusionierten IG Druck und Papier mit der IG Kunst, Kultur und Medien. Während seiner Amtszeit setzte er sich unter anderem für Arbeitszeitverkürzungen ein und konnte in der Lohnrunde 1997 die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen. Mit der Fusion von IG Medien, DAG, DPG, HBV und ÖTV zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) 2001 trat Hensche nicht mehr zur Wahl an.

Hensche war 40 Jahre lang Mitglied der SPD, trat jedoch 2003 aus Protest gegen die Reformen der rot-grünen Regierung aus und ist heute Mitglied der Partei Die Linke. Zudem ist er Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Nichtregierungsorganisation Attac und Mitherausgeber der politikwissenschaftlichen Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

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