Erich Herrmann

Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
Video 1 – 2:30
Betriebsrati
Nationalsozialismusi
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)i
Video 2 – 5:53
Mitbestimmungi
Aufsichtsrati
Betriebsrati
Arbeitsdirektori
Arbeitgeberi
Video 3 – 3:55
Bundesagentur für Arbeiti
Unternehmeni
35-Stunden-Wochei
Humanisierung der Arbeiti
Arbeitgeberi
Arbeitslosigkeiti
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Tarifvertragi
Ja, das war ja nicht so einfach gewesen, denn es war die Nazi-Zeit, in der ich großgewachsen … erwachsen wurde und die … auch die Eltern und Großeltern mussten etwas vorsichtig sein mit ihrer Äußerung. Und mein Großvater war bereits SPD-Mitglied gewesen. Er war ursprünglich mal Landarbeiter in Thüringen, kam nach Offenbach als Hilfsarbeiter, hat sich der SPD angeschlossen und der Gewerkschaft natürlich auch. Und mein Vater selbst war gelernter Bäcker aus Würzburg, war auch gewerkschaftlich organisiert und war S... Mitglied der SPD ebenso wie seine Frau und er stand dann unter Polizeiaufsicht nach 1933, weil man ihm da nicht getraut hat. Er war dann in einer Brotfabrik beschäftigt und nach 1945, da war er Betriebsratsvorsitzender dieser Brotfabrik geworden und hat auch die Gewerkschaft NGG in Offenbach mitgegründet. Für viele Jahre hat er das dann auch gemacht und dadurch bin ich in diesem ganzen Milieu schon großgeworden. Und ich habe dann immer wieder gemerkt aus den Gesprächen, die das geführt ... die geführt worden sind, dass man … dass dieses System, das man uns vorgesetzt hat, dass das Widersprüche hat, dass man dem nicht glauben kann. Ich hab da ein besonderes Erlebnis gehabt. 1943 bin ich vorgeladen worden von dem Wehrmachtsnachwuchsoffizier nach Mühlheim am Main. Ich bin mi'm Fahrrad hingefahren, meine Klassenkollegen, die auch eingeladen waren, auch und der Wehrmachtsoffizier hat dann erklärt, wie wichtig das ist, dass man sein militärische Karriere vorbereitet und dass man sich freiwillig meldet. Ich hab mich nicht freiwillig gemeldet. Mein Bruder war paar Jahre vorher gefallen und hab gesagt, da müsste ich Rücksicht nehmen auf meine Eltern und ich könnte mich damit auch nicht identifizieren. Das war schwierig gewesen, denn der Wehrmachtsoffizier hat gleich gefragt: Woher weißt du das? Wer hat dir das gesagt? Woher hast du diese Kenntnisse? Und da hab ich erst gemerkt, wie gefährlich eigentlich diese Situation ist und hab mich dann herausgeredet und hab gesagt: Ja, ich lese viel und da bin halt selbst auf solche Gedanken gekommen. Der hat mich ordentlich abgebürstet und als wir zurückgefahren sind, das war das eigentliche Erlebnis, nach Steinheim, wo ich damals wohnte, bin ich ganz allein gefahren. Alle Klassenkameraden haben mich gemieden. So war das in dieser Zeit.
In den 80er Jahren hat sich die gewerkschaftliche Aufgabe ja auch dadurch verändert, dass wir durch das Mitbestimmungsgesetz dann plötzlich die Möglichkeit hatten, in den ... in den Aufsichtsräten mitzuwirken. Und das Gesetz hat ja auch vorgesehen, dass nicht nur Vertreter der Arbeitnehmer, sondern auch Vertreter der Gewerkschaften dann in den Aufsichtsrat gewählt werden müssen, zur Hälfte oder mit dem Stimmrechtsprivileg der anderen Seite. Und da gab’s bei uns einige große Betriebe, Unternehmungen wie Unilever, Maggi, Nestle, Südzucker, Reemtsma und andere, in die wir dann reinkamen und die Betriebsräte haben dann auch selbst Wert darauf gelegt, dass möglichst die erste Garnitur und nicht grade ihr Ortssekretär, der sich mit der Geschäftsleitung über irgendwelche Kleinigkeiten gestritten hatte, hineinkam. Also es ist dann passiert, dass ich in mehreren Aufs... Aufsichtsräten reinkam und in manchen sogar als Stellvertretender Aufs... Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Ich war bei ... bei Nestle gewesen, bei Südzucker und bei der Reemtsma auch mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Meistens waren es Familiengesellschaften, die ja die Zügel weiter in der Hand gehalten haben wie bei Steigenberger, der Hotelgesellschaft, oder bei Reemtsma mit einer riesigen Gesellschafterversammlung und das war ja auch eine neue Dimension. Wir sind erst mit sehr viel Vorsicht aufgenommen worden, weil man uns nicht getraut hat. Und man hat dann Satzungen gemacht, in denen man den Einfluss des Aufsichtsrates weitgehend beschnitten hat, dass sich da nicht so viel ändert. Sie konnten aber eines nicht ändern, weil es im Gesetz steht. Das Einzige, was ein Aufsichtsrat überhaupt wirksam tun kann, die Besetzung des Vorstandes. Bei einer Personengesellschaft wie Reemtsma konnte man das immer noch durch die Gesellschafterversammlung kassieren, was der Aufsichtsrat beschlossen hat, aber das ist das einzige Mittel, mit dem man Druck ausüben konnte, insbesondere dass man Arbeitsdirektor reinbekam, oder dass bestimmte soziale Leistungen dann ... dann entwickelt wurden. Und das war also, wie gesagt, in Gesellschaften, die in fester Hand waren, ziemlich deutlich. Bei Nestle, da konnte man keine Bäume ausreißen. Das wusste man auch. Der Arbeitsdirektor, der hat sich in einer Betriebsräteversammlung mal hingestellt und hat gesagt. Also wie harmonisch das Verhältnis ist, das sehen sie daran, dass es bisher noch keinen Beschluss im Aufsichtsrat gab, der gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter zustande kam. Hat er dann erklärt. Ich hab mich dann gemeldet oder ich kam dann an der Rede dran und hab gesagt: Ja, der Arbeitsdirektor hat völlig recht, das ist auch so. Warum ist das aber so? Es gibt ja einen Stichentscheid. Und der Stichentscheid, der ist letzten Endes auf der Arbeitgeberseite. Und deshalb konnte die Arbeitnehmerseite stimmen wie sie will, mit dem Stichentscheid in einer Gesellschaft, die in festen Händen ist, kann man nichts ändern. Und das ist so ähnlich wie bei Galilei Galileo. Galilei Galileo, dem hat man ja nur die Folterwerkzeuge gezeigt und dann war der überzeugt, dass die Erde eine Platte ist, oder das sie jedenfalls nicht im Mittelpunkt ... dass die Sonne nicht im Mittelpunkt des Sonnensystems ist, hat man sie überzeugt, die Folterwerkzeuge. Und das Folterwerkzeug, das hier die Arbeitgeberseite in der Hand hat, ist der Stichentscheid. Was macht also eine vernünftige Arbeitnehmervertretung? Anstatt gegen den Willen der anderen Seite anzurennen, versucht er irgendeinen vernünftigen Kompromiss zu machen und irgendetwas zu erreichen, was erreichbar ist. Das ist besser als nur stur dagegen zu stimmen. Und so ist das hier auch zustande gekommen. Bei der Südzucker war’s noch interessanter. Bei der Südzucker hatten wir ja den Hermann Josef Abs als Aufsichtsratsmitglied gehabt, der war Ehrenmitglied, nahm an jeder Sitzung teil, ist meistens eingeschlafen, aber wenn er wach war, dann war’s gefährlich. Da wusste er, was los war. Und mir ist es ein einziges Mal passiert, ich hab da gegen irgendeine Vorlage opponiert und er hat was anderes vorgeschlagen und die Geschäfts … der Vorstand hat wie immer gesagt, das haben wir alles schon geprüft, das geht natürlich nicht oder sonst nicht und in dem Augenblick ist der Hermann Josef Abs wachgeworden und hat gesagt: Der Herrmann hat recht! Der Vorstand war erstarrt. Wie ist das möglich, dass ein Gewerkschaftsvertreter recht haben kann? Es war … Aber der Abs hat das gemacht und er hat‘s auch bewiesen, dass ich recht hatte. Und das war für mich schon ein innerer Vorbeimarsch gewesen dabei. Also solche Fälle gab es dabei. Es gab bei Steigenberger sogar so, dass die Frau Steigenberger, die alleinhaftende Gesellschafterin, dann zu mir gegangen ist und hat mich in ihre Wohnung eingeladen, weil sie da irgendeinen Rat haben wollte, wie sie das machen könnte. Der Inhaber der ... der Kulmbacher Brauerei, der hat mich in Hamburg extra aufgesucht und hat gesagt: Wir wollen ... wir brauchen jemanden für die Sankt Pauli Bavaria Brauerei, aber wir wissen net richtig, wen wir nehmen sollen. Und da hab ich gesagt: Nehmen Sie, da hatte ich einen bestimmten Namen im Kopf gehabt, nehmen Sie den, der kennt den Laden und das ist der Einzige, der was aus dem Laden machen kann. Hat der gemacht. Also, es hat sich im Laufe der Zeit ein anderes Verhältnis entwickelt. Während wir vorher mit Misstrauen beobachtet worden sind und man versucht hat, alle unsere Initiativen von vornherein abzubügeln, war es auf einmal so, dass wir mehr akzeptiert worden sind, weil sie festgestellt haben, dass das was wir vorgetragen haben, ja auch nicht immer Blödsinn war.
Ja, und das war die Überlegung, die dann auch zu dem Konzept führte, den Vorruhestand einzuführen. Und das Konzept bestand darin, dass die Bundesanstalt für Arbeit einen Teil des Arbeitslosengeldes dem Unternehmen zur Verfügung stellte, wenn der Unternehmer für den vorzeitig Ausgeschiedenen einen Arbeitslosen einstellt. Dazu brauchte man aber ein Gesetz, das konnte man nicht tariflich machen. Tariflich konnte man zwar die Bereitschaft auf der anderen Seite erkunden, das haben wir auch gemacht. Wir haben mit den Arbeitgebern verhandelt und haben dann einen Kompromiss geschlossen. Wir haben die Manteltarifverträge für zwei Jahre verlängert und die Arbeitgeber haben ihre Zustimmung gegeben, eine solche Tarifregelung zu treffen, wenn wir die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen. Also […] und ich sind wir erst zum Helmut Schmidt gelaufen und haben dem das erklärt, aber da kamen wir gar nicht so viel weiter. Das waren die letzten Tage der Regierung Schmidt. Dann sind wir zu Helmut Kohl gelaufen und der hatte von allem keine Ahnung gehabt, aber er hat es interessant gefunden. Ich kannte Helmut Kohl ja noch aus meiner Zeit als Landesbezirksvorsitzender und der hat uns erst mal erzählt, was da alles mit zusammenhing. Gut. Er hatte jedenfalls nichts dagegen, und ich hatte auch den Eindruck, dass er besonders darauf reagiert hatte, als ich ihm erzählt hatte, welche Schwierigkeiten wir mit dieser Vorruhestandsregelung innerhalb des DGBs hätten. Denn die IG Metall war überhaupt nicht damit einverstanden. Die IG Metall kannte nur einen Königsweg und das war 35-Stunden-Woche. Und alles andere hat sie als Teufelswerk abgelehnt und wir haben manches Mal im tarifpolitischen Ausschuss, aber auch die Leute in den Kreisvorständen, schwer zu kämpfen gehabt, weil die IG Metall das einfach nicht akzeptieren wollte. Und das hab ich dem Kohl erzählt und hab gesagt, und das gibt einen Riesenkrach, wenn das kommt, innerhalb vom DGB. Und da hat der sofort reagiert drauf. Und er hat’s gemacht. Wir haben dieses Gesetz bekommen. Er kam dann in der Zwischenzeit an die Regierung. Für vier Jahre ist das dann gelaufen, und ich hab dann den ersten Tarifvertrag mit der Zuckerindustrie abgeschlossen, in dem das vereinbart worden ist, dass Arbeitnehmer mit 58 Jahren in den Vorruhestand gehen können, 70 % oder 80 % ihres Nettolohnes weiter bekommen, und zwar vom Arbeitgeber. Und der Arbeitgeber hat dann die Chance, wenn er diesen Arbeitsplatz neu besetzt, dass er dann von der Arbeitsverwaltung, vom Arbeitsamt einen Teil des Geldes bekam, den die Arbeitsverwaltung sonst an den Arbeitslosen gezahlt hätte. Ging vier Jahre, aber dann war es zu Ende. Das war eine hochinteressante Geschichte und das ist genau die Regelung, die mir das zweite Bundesverdienstkreuz, nämlich erster Klasse, eingebracht hat – der Vorruhestand, der ja dann auch Schule machte. Aber er hat zu einer Belastungsprobe geführt. Ernst Breit war da gelassen, wenn es Krach im DGB gab, auch auf dem Bundeskongress. Ernst Breit hat gesagt, es ist völlig egal, auf welche Weise ihr die Arbeitszeitverkürzung macht, Hauptsache ihr macht sie und welche die effektivste Weise ist, das wird sich ja dann sowieso herausstellen. Und so hat der Breit das geschickt überbrückt und hat auch den DGB auf diese Weise zusammengehalten und es war eine seiner großen Leistungen, die er gebracht hat. Wie überhaupt Ernst Breit sehr ... sehr wichtig war für den DGB, weil er die damals schon widerstrebenden Flügel zusammengehalten hatte. War eine wichtige Epoche – Vorruhestand, zusammen mit der Humanisierung der Arbeit. Leider konnte es nicht weitergeführt werden. Franz-Josef Möllenberg hat es später noch mal aufgegriffen, aber er konnte es nicht mehr durchsetzen, weil die Zeiten sich geändert hatten.
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Erich Herrmann wurde am 17. Juni 1928 in Steinheim/Main geboren. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er von 1942 bis 1944 eine Lehre zum Industriekaufmann und arbeitete zwischen 1945 und 1947 als kaufmännischer Angestellter. 1948 wurde Herrmann – Gewerkschaftsmitglied bereits seit 1945 – Ortssekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Offenbach sowie Landesjugendvorsitzender. Von 1953 bis 1966 war er Bezirksleiter des NGG-Bezirks Frankfurt, zwischen 1966 und 1978 NGG-Landesvorsitzender für Hessen/Rheinland-Pfalz/Saar. 1978 wurde er zum stellvertretenden NGG-Bundesvorsitzenden mit der Zuständigkeit für Tarifpolitik gewählt und amtierte schließlich 1989/90 als Bundesvorsitzender der Gewerkschaft. Zwischen 1978 und 1991 war er auch Mitglied der Exekutive des Europäischen Ausschusses der Lebensmittelarbeiter-Gewerkschaften sowie der Exekutive der Internationalen Union der Lebensmittelarbeiter-Gewerkschaften in Genf.

Herrmann ist seit 1946 Mitglied der SPD.

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