Franz Steinkühler

IG Metall
IG Metall
Video 1 – 3:44
Streiki
Arbeiter_ini
Humanisierung der Arbeiti
Ehrenamti
Solidaritäti
Tarifvertragi
Video 3 – 3:20
Betriebsrati
Arbeiter_ini
Jobrotationi
Ehrenamti
Rationalisierungi
Als dann Willi Bleicher 1972 in Pension ging, wurde ich sein Nachfolger, war dann 1972 Bezirksleiter. Ich hab schon vorher, drei oder vier Jahre vorher, die Lohnrahmentarifvertrag-II-Verhandlungen geführt. Das war der Vertrag unter der Überschrift „Humanisierung der Arbeit“, vielleicht sagt der noch einigen etwas. Den Vertrag hab ich … Die Verhandlungen habe ich dann 1973, nachdem ich ein Jahr Bezirksleiter war, scheitern lassen. Wir kamen nicht zum Abschluss und Willi Bleicher hat mich davor gewarnt, sagt er, Franz, das ist ganz gefährlich, das sind Forderungen, die schließen nicht alle Arbeitnehmer gleichzeitig ein und damit wirst du schwer Solidarität erzeugen können. Ich war vom Gegenteil überzeugt, zum Beispiel war da die Forderung, dass über 53-jährige nicht mehr gekündigt werden können. Natürlich trifft es nicht die Jungen, aber die Jungen werden ja auch mal alt. Da waren Regelungen drin für Fließbandarbeiter, betreffend nur die Fließbandarbeiter, aber die andern könnten ja auch mal Fließbandarbeiter werden. Da gab es Springerregelungen. Da haben wir Erholungszeiten durchgesetzt. Da haben wir durchgesetzt, dass Lärmgrenzen eingeführt werden, dass über 90 Dezibel die Menschen nicht mehr beschäftigt werden können. Und wie vermitteln sie zum Beispiel einem Journalisten, was 90 Dezibel Lärm sind? Der hat ja keine Ahnung. Also da haben wir eine große Versammlung in der Stadthalle in Göppingen gemacht, einen Lärmgenerator hingestellt und plötzlich haben wir den auf volle Lautstärke eingeschaltet, ist dann schon wie ein richtiger Hammer. Dann haben wir wieder abgeschaltet und gesagt, das waren eben 90 Dezibel A Lärm. Das ist das, was die Arbeiter in der Fabrik acht Stunden ertragen sollen, das geht nicht. Das wollen wir beseitigt haben. Dann haben die Journalisten das begriffen und das haben die auch entsprechend geschrieben. Wir hatten also eine großartige Presse. Also ich war überzeugt: Den Streik und die Urabstimmung gewinnen wir. Kurz vor der Urabstimmung hatten wir in Heilbronn noch so eine Mobilisierungskundgebung gemacht und bevor die Kundgebung da war, wurde ich einbestellt zu meinem Vorsitzenden Loderer. Und weil ich schon Böses ahnte, habe ich den Richard Rau, den GBR-Vorsitzenden von Bosch, der noch lebt, den man noch befragen kann, ehrenamtliches Vorstandsmitglied, mitgenommen und das war auch gut so. Denn Eugen Loderer wollte die Urabstimmung nicht, er wollte den Streik nicht und er hat mir angedroht, wenn ich die Kundgebung nicht absage, müsste ich mit meiner Entlassung rechnen. Na ja, ich hab ihm gesagt, Eugen, ich kann die Kundgebung nicht mehr absagen, weil die Einladungen sind draußen, die Leute kommen. Du kannst kommen und reden, das Einzige, was ich noch tun kann. Also mir hat’s schon ein bisschen gebibbert, muss ich zugeben. Wenn der Vorsitzende einem die Entlassung in Aussicht stellt, ist das ja nicht so ganz einfach für einen Bezirksleiter. Dann war die Kundgebung in Heilbronn. Sie war mehr als voll. Die Leute standen draußen in den Gängen und ich hab die erste Rede gehalten, ist ja klar. Natürlich hab ich auch ein bisschen um meinen Kopf geredet, das gebe ich schon gerne zu, aber am Schluss meiner Rede sind die Leute aufgestanden, haben sich an den Händen genommen, haben angefangen zu singen. Da haben sich die Haare gestellt. Dann dachte ich, jetzt ist die Sache gelaufen, und Eugen Loderer war dann auch dafür. Also er hat sich besänftigt, als er das gesehen hat. Aber das, muss ich sagen, war so etwas Einschneidendes und dieser Tarifvertrag 1973, von dem reden die Leute ja heute noch. Den gibt’s ja auch noch, er gilt ja auch noch in weiten Teilen, wie die Erholungspausen zum Beispiel, die oftmals Steinkühler-Pausen genannt werden. Ein Titel, gegen den ich nichts einzuwenden habe.
Ich mein, gewerkschaftliche Tätigkeit unterscheidet sich schon von Altenpflege, da kann man auch Gutes tun, ohne Zweifel, das bestreitet ich ja nicht, aber gewerkschaftliche Tätigkeit lebt immer auch ein bisschen mit dem Anspruch, was verändern zu wollen, an den bestehenden Zuständen was verändern wollen dauerhaft zu dem, was ich fürs Bessere halte. Behaupte nicht, dass ich immer Recht hab mit dem, was ich für das Bessere halte. Siehst du, das fängt bei mir mit 15 Jahren schon an. Mit 15 Jahren war ich Mitglied im Ortsjugendring, weil ich Jugendleiter war, und kam auch in den Kreisjugendring. Und da musst du Meinung vertreten. Da musst du für eine Meinung stehen und da merkst du auch plötzlich, andere haben andere Meinungen. Die katholische Jugend hatte völlig andere Meinungen. Die Pfadfinder hatten völlig andere Meinungen als wir. Die kamen auch mit anderen Hintergründen dort rein. Mein Hintergrund war, ich war Lehrling. Lehrling ist der letzte Tropf im Betrieb, das ist der, der zum Vesper holen geschickt wird, das ist der, der aufkehren muss und der Lehrling, so ging mir’s auch, der Stift, Stift hießen wir früher, der freut sich, wenn er endlich mal Geselle ist, weil dann kann er dem Lehrling sagen, was er tun muss. Dann ist er Geselle und dann merkt er, er ist immer noch abhängig. Er ist abhängig vom Meister und dann will er Meister werden, weil er endlich mal was zu sagen haben will. Dann merkt er, er ist immer noch abhängig. Ja, dann will er Gewerkschaftsvorsitzender werden und merkt auch, er ist auch noch abhängig. Also von daher sind wir völlig anders sozialisiert als manch andere Gruppen in der Gesellschaft. Das hab ich mit 15 Jahren schon gelernt. Später hab ich dazu gesagt, das sei ein bestimmtes Bewusstsein. Das hab ich mit 15 Jahren noch nicht gewusst. Und von daher ist Gewerkschaftsarbeit etwas nicht nur Samariterhaftes in der Altenpflege, Gewerkschaftsarbeit ist politische Interessenvertretung. Und dann wissen sie, dass es da andere gibt, die aus egoistischen Gründen, nein, aus anderen Gründen, anderes wollen und dagegen müssen sie Kraft einsetzen, dagegen müssen sie Kraft mobilisieren, dagegen müssen sie Mehrheiten mobilisieren, dagegen müssen sie die besseren Argumente haben. Das erwartet man von einem Gewerkschafter, und wenn man das dann schafft, dann überströmt einen manchmal sogar Glücksgefühl. Wenn sie eine Urabstimmung laufen haben, und sie können nachts nicht mehr schlafen, weil wie geht die aus, sie dreht’s nachts im Bett rum, denn viele haben mir zugestimmt, aber entschieden haben letzten Endes sie, und wenn das schief geht, ist nur einer verantwortlich. Deswegen drehst du dich nachts im Bett rum, du kannst nicht pennen und wenn dann die Urabstimmung über 85/90 % hat, dann fallen dir eine Last Steine vom Herzen, da bist du richtig happy. Da hast du aber vorher war geleistet. Da bist du agitierend durchs Land gezogen. Da hast du Leute überzeugt. Da hast du für deine Meinung gekämpft. Also das ist eine ganz andere Arbeit als nur Samariter. Samariter sind wir auch, weil wir vielen Leuten helfen, und wir helfen Leuten in Bedrängnis jeden Tag. Gewerkschaftsarbeit findet tausendfach jeden Tag im Betrieb statt. Das ist nicht nur die Arbeit der Hauptamtlichen, das ist auch vor allem die Arbeit der ehrenamtlichen Funktionäre. Die brennen ja auch für ihre Organisation und oft unter sehr schwierigen Bedingungen im Betrieb. Das ist nicht immer einfach, Gewerkschaftsarbeit zu machen, auch heute noch nicht. Auch heute müssen Gewerkschafter teilweise noch große Nachteile in Kauf nehmen in kleinen und mittleren Betrieben, nicht beim Daimler, nicht bei VW. Da haben wir eine ordentliche Position. Also von daher ist Gewerkschaftsarbeit etwas, von dem ich sage, das ist eine der wenigen Arbeiten, die einen voll befriedigen können. Einschränkung: Ich kenn auch nicht viele andere Arbeiten. Vielleicht befriedigt einen katholischen Pfarrer seine Arbeit jeden Tag, ich weiß es nicht, deswegen kann ich darüber nicht urteilen. Aber Gewerkschaftsarbeit ist eine Arbeit, die kann einen jeden Tag befriedigen.
Ich will ein Beispiel sagen, um es konkret zu machen. Rohbau in der Karosserie. Ich kenn den Rohbau noch, da standen da noch ganze Straßen mit Arbeitern und Schweißerzangen, diese schweren Schweißerzangen, die an Ausgleichsgewichten hingen, und da haben die die Schweißpunkte gesetzt. War eine harte Arbeit, Lärm, Gestank, die Funken flogen, man musste schwere Schutzkleidung tragen, war keine schöne Arbeit. Dann kamen die Roboter, die die Schweißpunkte gesetzt haben. Gott sei Dank hatten wir wirtschaftliches Wachstum und die Leute, die an den Schweißzangen überflüssig waren, wurden nicht entlassen. Sonst wär es viel schwieriger geworden. Also das ist vielleicht ein guter Gesamtpunkt. Solange Wachstum ist, hat Rationalisierung keine direkten negativen Folgen auf den Arbeitsplatz. Wenn wir kein Wachstum mehr haben und trotzdem hohe Produktivitätsfortschritte, dann führt das natürlich zu Arbeitslosigkeit, wenn’s keine Arbeitszeitverkürzung gibt, die das wieder auffängt. Und die ganzen Veränderungen in den Arbeitsabläufen, in den Arbeitsprozessen sind ja teilweise auch mitgestaltet von unseren Funktionären und Betriebsräten, also von den Ehrenamtlichen. Also die Frage Arbeitsorganisation fällt immer dann negativ in die Diskussion, wenn Arbeitsbelastungen wieder zunehmen, zum Beispiel weil eine neue Maschine reinkommt, die nicht lärmisoliert ist, wird zu Recht reklamiert, zum Beispiel weil Arbeitsabläufe so ungünstig sind, das die Leute sich verrenken müssen, so was gibt’s immer mal, manchmal passieren die dümmsten Sachen im Betrieb, auch heute noch, wird zu Recht reklamiert. Aber wenn Arbeitsabläufe flüssiger werden, werden sie in der Regel auch körperlich leichter und geistig nicht anspruchsloser. Da legen wir großen Wert. Also arbeitsteilige Fertigungsweise haben wir in Baden-Württemberg Lohnrahmen II ja auch bekämpft, indem wir Mindesttaktzeiten von 1,5 Minuten eingeführt haben, die heute noch nicht überall erfüllt werden und die heute zunehmend wieder unterschritten werden, kurzzyklische Arbeiten nehmen wieder zu. Kurzzyklische Arbeiten, hab ich früher immer gesagt, machen den Menschen zum dressierten Affen. Das ist politisch höchst gefährlich, weil er leicht austauschbar ist. Ein hochqualifizierter Arbeiter ist ein viel sichererer Arbeitsplatz, weil er nicht so leicht austauschbar ist. Eine einfache Arbeit, eine total beschnittene Arbeit ist politisch sehr gefährlich, weil der ist leicht austauschbar, und Arbeitsplätze mit lauter Leuten, die leicht austauschbar sind, damit bringen sie auch kein politisches Gewicht auf die Waage im Arbeitskampf. Also das spielt für uns alles eine Rolle. Also Arbeitsorganisation muss ein Gewerkschafter immer auch mit den politischen Folgen sehen, und ich hab immer, das ist auch nachzulesen, immer versucht deutlich zu machen, was Rationalisierung auch für die Kraft und für die Entfaltungsmöglichkeiten von Gewerkschaften bedeutet. Das darf nicht aus dem Auge verloren werden, deshalb keine kurzzyklischen Arbeiten, deshalb Gruppenarbeit, deshalb Jobrotation, wo einer alles machen muss, weil das alles unser Gewicht erhöht. Das spielt eine große Rolle für Gewerkschaften.
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Franz Steinkühler wurde am 20. Mai 1937 in Würzburg geboren. Nach dem Besuch der Volksschule in Göppingen absolvierte er eine Lehre zum Werkzeugmacher und erlangte den Meistertitel schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres.

Der IG Metall schloss sich Steinkühler bereits mit 14 Jahren an, war als Betriebsrat aktiv und 1959/60 auch Betriebsratsvorsitzender in Göppingen. 1960 wurde er Volontär bei der IG Metall-Verwaltungsstelle Schwäbisch Gmünd und übernahm, nach einer Zwischenstation in Stuttgart, die Geschäftsführung der IG Metall in Schwäbisch Gmünd. Von 1963 bis 1972 arbeitete Steinkühler unter Bezirksleiter Willi Bleicher als Sekretär im IG Metall-Bezirk Baden-Württemberg, zwischen 1972 und 1983 leitete er diesen.

1983 wurde Steinkühler zum Zweiten Vorsitzenden der IG Metall, 1986 schließlich zum Ersten Vorsitzenden gewählt. Unter seiner Leitung erreichte die IG Metall eine schrittweise Einführung der 35-Stunden-Woche und focht viel beachtete Tarifabkommen aus. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde Steinkühler durch den Beitritt der Mitglieder der IG Metall der DDR zur IG Metall zum Vorsitzenden der größten Einzelgewerkschaft der westlichen Welt. In der Folge setzte er sich für eine solidarische Gestaltung des Wiedervereinigungsprozesses ein. 1986 und 1992 als Vorsitzender bestätigt, trat er im Mai 1993 von seinem Amt zurück.

Steinkühler ist seit 1951 Mitglied der SPD und war zeitweise stellvertretender Landesvorsitzender der SPD in Baden-Württemberg.

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