Ich mein, gewerkschaftliche Tätigkeit unterscheidet sich schon von Altenpflege, da kann man auch Gutes tun, ohne Zweifel, das bestreitet ich ja nicht, aber gewerkschaftliche Tätigkeit lebt immer auch ein bisschen mit dem Anspruch, was verändern zu wollen, an den bestehenden Zuständen was verändern wollen dauerhaft zu dem, was ich fürs Bessere halte. Behaupte nicht, dass ich immer Recht hab mit dem, was ich für das Bessere halte. Siehst du, das fängt bei mir mit 15 Jahren schon an. Mit 15 Jahren war ich Mitglied im Ortsjugendring, weil ich Jugendleiter war, und kam auch in den Kreisjugendring. Und da musst du Meinung vertreten. Da musst du für eine Meinung stehen und da merkst du auch plötzlich, andere haben andere Meinungen. Die katholische Jugend hatte völlig andere Meinungen. Die Pfadfinder hatten völlig andere Meinungen als wir. Die kamen auch mit anderen Hintergründen dort rein. Mein Hintergrund war, ich war Lehrling. Lehrling ist der letzte Tropf im Betrieb, das ist der, der zum Vesper holen geschickt wird, das ist der, der aufkehren muss und der Lehrling, so ging mir’s auch, der Stift, Stift hießen wir früher, der freut sich, wenn er endlich mal Geselle ist, weil dann kann er dem Lehrling sagen, was er tun muss. Dann ist er Geselle und dann merkt er, er ist immer noch abhängig. Er ist abhängig vom Meister und dann will er Meister werden, weil er endlich mal was zu sagen haben will. Dann merkt er, er ist immer noch abhängig. Ja, dann will er Gewerkschaftsvorsitzender werden und merkt auch, er ist auch noch abhängig. Also von daher sind wir völlig anders sozialisiert als manch andere Gruppen in der Gesellschaft. Das hab ich mit 15 Jahren schon gelernt. Später hab ich dazu gesagt, das sei ein bestimmtes Bewusstsein. Das hab ich mit 15 Jahren noch nicht gewusst. Und von daher ist Gewerkschaftsarbeit etwas nicht nur Samariterhaftes in der Altenpflege, Gewerkschaftsarbeit ist politische Interessenvertretung. Und dann wissen sie, dass es da andere gibt, die aus egoistischen Gründen, nein, aus anderen Gründen, anderes wollen und dagegen müssen sie Kraft einsetzen, dagegen müssen sie Kraft mobilisieren, dagegen müssen sie Mehrheiten mobilisieren, dagegen müssen sie die besseren Argumente haben. Das erwartet man von einem Gewerkschafter, und wenn man das dann schafft, dann überströmt einen manchmal sogar Glücksgefühl. Wenn sie eine Urabstimmung laufen haben, und sie können nachts nicht mehr schlafen, weil wie geht die aus, sie dreht’s nachts im Bett rum, denn viele haben mir zugestimmt, aber entschieden haben letzten Endes sie, und wenn das schief geht, ist nur einer verantwortlich. Deswegen drehst du dich nachts im Bett rum, du kannst nicht pennen und wenn dann die Urabstimmung über 85/90 % hat, dann fallen dir eine Last Steine vom Herzen, da bist du richtig happy. Da hast du aber vorher war geleistet. Da bist du agitierend durchs Land gezogen. Da hast du Leute überzeugt. Da hast du für deine Meinung gekämpft. Also das ist eine ganz andere Arbeit als nur Samariter. Samariter sind wir auch, weil wir vielen Leuten helfen, und wir helfen Leuten in Bedrängnis jeden Tag. Gewerkschaftsarbeit findet tausendfach jeden Tag im Betrieb statt. Das ist nicht nur die Arbeit der Hauptamtlichen, das ist auch vor allem die Arbeit der ehrenamtlichen Funktionäre. Die brennen ja auch für ihre Organisation und oft unter sehr schwierigen Bedingungen im Betrieb. Das ist nicht immer einfach, Gewerkschaftsarbeit zu machen, auch heute noch nicht. Auch heute müssen Gewerkschafter teilweise noch große Nachteile in Kauf nehmen in kleinen und mittleren Betrieben, nicht beim Daimler, nicht bei VW. Da haben wir eine ordentliche Position. Also von daher ist Gewerkschaftsarbeit etwas, von dem ich sage, das ist eine der wenigen Arbeiten, die einen voll befriedigen können. Einschränkung: Ich kenn auch nicht viele andere Arbeiten. Vielleicht befriedigt einen katholischen Pfarrer seine Arbeit jeden Tag, ich weiß es nicht, deswegen kann ich darüber nicht urteilen. Aber Gewerkschaftsarbeit ist eine Arbeit, die kann einen jeden Tag befriedigen.