Gisbert Schlemmer

Gewerkschaft Holz und Kunststoff
Gewerkschaft Holz und Kunststoff
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Arbeitsrechti
Betriebsrati
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Arbeitgeberverbandi
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Arbeitgeberi
Als Speditionskaufmann habe ich dann verschiedene Jobs gemacht in Wiesbaden, in Frankfurt. Das war alles nicht so spannend und ich hab gedacht, in der Industrie kannst du dein Wissen als Speditionskaufmann besser verwerten, und bin dann über eine Anzeige bei Polster Richter in Winkel im Rheingau gelandet. Ich war damals, glaube ich, 22, 23 Jahre alt und hab als Sachbearbeiter ein halbes Jahr gearbeitet in der Disposition. Die Disposition hat in diesem Betrieb die Fahrer für die Möbel, die durch ganz Deutschland im Direktvertrieb verkauft worden sind, organisiert. Und ich hatte dann so ein paar Fahrer, die ich zu betreuen hatte, deren Touren ich zu organisieren hatte und so weiter. Ein Vierteljahr später oder ein halbes Jahr später, ich weiß es nicht mehr so ganz genau, ist der Dispositionsleiter, also der Leiter der Gruppe, in der ich beschäftigt war, gefeuert worden. Das war damals ein Einzelunternehmer, der Polster Richter geleitet hat und der nach Gutsherrenart entschieden hat, wer gut ist, wer schlecht ist und wer in seinen Augen schlecht war, ist rausgefeuert worden. Und dieser Dispositionsleiter ist entlassen worden und zu meinem großen Erstaunen hat mich dann, bin ich dann gefragt worden vom Personalchef, ob ich denn nicht Dispositionsleiter werden wollte. Mit meinen 23 Jahren oder so hab ich an so was überhaupt nicht gedacht. Ich hatte plötzlich die Verantwortung für 50, 60 Fahrer, die durch ganz Deutschland gedüst worden sind und für meine Abteilung, das waren dann so 6, 8, 10, ich weiß es gar nicht mehr ganz genau, Disponenten, die sich um die Einteilung der Touren gekümmert hatten. Und ich hab sehr schnell gemerkt, was in diesem Betrieb stinkt, weil ich sehr schnell ein Vertrauensverhältnis zu den Fahrern aufbauen konnte, die mir dann ihr Leid geklagt haben. Da hat der schon wieder das gemacht oder jenes gemacht, haben sie sich bei mir beschwert, morgens, als ich die Toureneinteilung mit ihnen besprochen habe und ich hab gesagt, ja dann müssen wir doch was unternehmen. Gehaltskürzungen waren an der Tagesordnung, Urlaub wurde nicht gewährt und ähnliche Dinge mehr. Da müssen wir was tun, hab ich gesagt. Ja, aber dann schmeißt der uns doch raus. Und ich hatte auch von arbeitsrechtlichen Dingen wenig Ahnung, also habe ich gedacht, wer ist zuständig: die Gewerkschaft. Hab ich dann rausgefunden die Gewerkschaft Holz und Kunststoff ist für Polstermöbel zuständig, hab in Frankfurt angerufen bei der Bezirksverwaltung und hab gesagt, hier ist ein Betrieb mit 650 Beschäftigten, da ist kein Mensch organisiert und hier stinkt’s. Hier passiert das und jenes und noch was und noch was. Und dann haben die gesagt, ja, ist klar, dann kommen wir, machen wir was, aber du musst natürlich dafür sorgen, dass deine Leute organisiert sind, denn nur gewerkschaftlich organisierte Kolleginnen und Kollegen können wir vertreten. Habe ich gesagt, kein Problem, machen wir. Und dann sind wir drangegangen mit 5, 6 anderen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Abteilung und hab gesagt, wir können für euch was machen, aber ihr müsst euch organisieren. Ihr müsst in die Gewerkschaft gehen. Und dann haben die gefragt, was kostet das und das Übliche, was da so gefragt wird und wir hatten dann innerhalb sehr kurzer Zeit 50, 60 % der Belegschaft organisiert und haben dann gesagt: Gewerkschaft komm, hilf uns. Die sind auch gekommen, haben gesagt, das müsst ihr machen, das müsst ihr machen. Wir konnten in Einzelfällen schon helfen, aber wichtig ist, dass ihr jetzt einen Betriebsrat wählt. Haben wir gesagt, wie geht denn das, was ist denn das und so – keine Ahnung von nix. Dann haben die uns das erklärt. Wir haben einen Wahlvorstand gebildet und was da so alles zu notwendig ist und haben einen Betriebsrat gewählt und ich bin zum Vorsitzenden da gewählt worden und freigestellt, war dann mit meinen 22, 23 Jahren jüngster Betriebsrat, freigestellter Betriebsrat in Hessen in der GHK und hab angefangen zu arbeiten.
Also zunächst mal ist die Voraussetzung für einen tarifpolitischen Erfolg, dass die Kolleginnen und Kollegen mitmachen und nicht, dass die Hauptamtlichen die besseren Argumente haben. Die Kollegen, die betroffen sind, die in den Betrieben diese Prozente wollen, müssen es auch wirklich wollen. Wenn sie nicht dahinterstehen, kannst du mit den besten Argumenten der Welt keinen Erfolg haben, weil ein Unternehmer genau wie ein Gewerkschafter auch spürt, ist da was Echtes dahinter, oder wird da nur so getan als ob. Und meine klare Erfahrung im Nachhinein sagt mir, dass wir immer dann erfolgreich waren, wenn die Kolleginnen und Kollegen voll hinter uns gestanden haben. Es gab auch Tarifrunden, wo sie hinter uns gestanden oder nicht ganz hinter uns gestanden haben, wo sie teilweise hinter uns gestanden haben. Diese Tarifrunden waren weniger erfolgreich. Manchmal hat man dann geglaubt, man könne durch geschicktes Verhandeln noch was rausholen. Vielleicht ist auch noch ein Zehntel bei rumgekommen, aber man hat deutlich gespürt, das ist schwieriger, da … Kein Gewerkschafter der Welt kann meiner Überzeugung eine Tarifrunde dadurch gewinnen, dass er die besseren Argumente hat. Er kann sie nur gewinnen, wenn die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben sich für diese Sache einsetzen. Das ist das A und O. Es kommen Randbedingungen hinzu. Eine Randbedingung ist, dass man verlässliche Gesprächspartner hat, Gesprächspartner, die einen respektieren. Ich habe Unternehmer und Arbeitgeberverbände erlebt, die Gewerkschaften per se nicht respektiert haben. Mit denen war es viel schwieriger, mit denen war auch klar, ist nur ein Blumentopf zu gewinnen, wenn wir streiken. Weil sie Argumenten nicht zugänglich waren. Ich habe aber auch andere erlebt und das war, jedenfalls in meiner Biografie, sogar die Mehrzahl, denen man mit einem Argument auch mindestens ein Stück weit begegnen konnte. Und die "guten" Unternehmer – in Gänsefüßchen sage ich das als Gewerkschafter –, die haben den Respekt vor mir als Verhandlungsführer gehabt, den ich auch vor ihnen als Arbeitgeberverhandlungsführer gehabt habe. Und das ist die Basis einer vernünftigen Zusammenarbeit. Ich will per se nicht streiken. Ich will, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen besser werden, und das muss ich, wenn’s gut geht, aushandeln. Und wenn’s nicht gut geht, muss ich halt streiken. Weil das letzte Mittel der Arbeitnehmer ist nun mal der Streik, da führt kein Weg dran vorbei. Wer was anderes sagt, macht sich was vor nach meiner Auffassung.
Ja, zu der Zeit als ich mit Gewerkschaftsarbeit begonnen habe, gab es noch sehr stark diese Polarisierung links – rechts. Das ist ja in der Zwischenzeit, ja, weg will ich nicht sagen, aber nicht mehr in dem Maße vorhanden, wie das früher vorhanden war. Früher war links, wer viel gestreikt hat, wer – ich sag mal – nicht sehr sozialpartnerschaftlich versucht hat, die Lösung zu finden, sondern wer im Zweifelsfall gesagt hat, wir verlassen uns auf unsere eigene Kraft und wenn die Arbeitgeber nicht wollen, dann müssen wir eben zu unseren Mitteln greifen und das ist in der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung im Endeffekt als letztes Mittel der Streik. Und dafür sind von der veröffentlichten Meinung vielleicht, vielleicht auch von Arbeitgebern, vielleicht auch von interessierten anderen Menschen so Kategorien geschaffen worden, in die Kästen oder in diese Schubladen sind dann Gewerkschaften gesteckt worden. Die DRUPA war eine linke Gewerkschaft, die GHK war eine linke Gewerkschaft, die Chemie war eine rechte Gewerkschaft. Und so ist das damals diskutiert worden, ob das immer so richtig und wahr war, ist eine ganz andere Sache. Es ist mehr eine öffentliche Wahrnehmung, denn auch die Gewerkschaften, die als mehr sozialpartnerschaftlich gekennzeichnet wurden, mussten im Zweifelsfall ihre Interessen durchsetzen durch ihr Kampfmittel, was ihnen als Gewerkschaft gegeben war, wenn nichts anderes mehr ging, nämlich den Streik. Und das haben auch die sogenannten rechten Gewerkschaften genutzt. Heute bin ich der Meinung, dass diese Kategorisierung so gar nicht mehr zutrifft, weil wir sozusagen den real existierenden Sozialismus ja längst überwunden haben und es einen, wenn man so will, weltweiten Kapitalismus gibt. Und von daher haben sich alle Arbeitnehmervertreter, wo immer auf der Welt sie sich befinden, zu überlegen, wie setzen wir unsere Ziele um. Und da kann man mit links – rechts nicht mehr so sehr viel anfangen [...] Wir können über Globalisierung, über die Entwicklung, die sich in den letzten Jahrzehnten ergeben hat, noch so viel philosophieren, es wird bei dem alten gewerkschaftlichen Gedankengut bleiben, immer bleiben, egal unter welchem System wir uns befinden, dass es darum geht, ein menschenwürdiges Leben zu organisieren. Und dazu wird es immer Gewerkschaften geben müssen, weil es andere mächtige Interessen gibt, die dem gegenüberstehen. Und man muss eine Balance finden, oder man muss sich damit abfinden, dass einer bestimmt und die anderen folgen. Und in die Zeiten wollen wir ja wohl nicht zurück, egal wie fortschrittlich oder wie weit wir gekommen sind in unseren Erkenntnissen, dass es zum Beispiel immer um Geben und Nehmen geht oder so. Aber auch heute gilt, es geht nicht von alleine. Arbeitnehmer müssen auch heute um ihre Rechte kämpfen und wie sich das entwickelt hat, sieht man an dem, was ich schon sagte: Die Schere zwischen Reichtum und Armut geht auseinander und dies ist nicht gottgegeben, dass die auseinandergeht, sondern das ist menschengemacht. Und dagegen muss man sich immer wieder wehren und ich denke, das können Gewerkschaften tun.
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Gisbert Schlemmer wurde am 20. Mai 1946 in Wiesbaden geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums absolvierte er eine Ausbildung zum Speditionskaufmann, engagierte sich seit 1970 in der Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) und arbeitete gleich als freigestellter Betriebsratsvorsitzender. 1972 studierte Schlemmer an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und beendete sein Studium als Diplom-Sozialwirt. Zwischen 1979 und 1984 arbeitete er beim GHK-Hauptvorstand in Düsseldorf, erst in der Abteilung Vorsitzender, dann in der Abteilung Organisation. Von 1985 bis 1993 war Schlemmer Bezirksleiter der GHK in Baden-Württemberg, zwischen 1993 und 1999 schließlich GHK-Bundesvorsitzender. Mit dem Anschluss der GHK an die IG Metall 2000 trat Schlemmer aus der ersten Reihe zurück und engagierte sich gewerkschaftlich fortan auf internationaler Ebene: Er vertrat die IG Metall im Vorstand der Forest Stewardship Council, einer internationalen Non-Profit-Organisation, die sich aus sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Sicht für den ressourcenschonenden Umgang mit dem Rohstoff Holz einsetzt.

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