Günter Dickhausen

Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Video 1 – 4:41
Betriebsrati
Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB)i
Gewerkschaft ÖTV in der DDRi
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED)i
Staatssicherheitsdiensti
Vertrauenskörperi
Video 2 – 2:32
Betriebsrati
Pütti
Sozialakademie Dortmundi
Jugend- und Auszubildendenvertretungi
Duales Ausbildungssystemi
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Video 3 – 4:02
1. Maii
Migrationshintergrundi
Betriebsversammlungi
Und dann ging das los, in die Betriebe gehen. Da lernte man die alten Strukturen des FDGB kennen, beispielsweise, da war VEB Samenproduktion in (Pause) in der Nähe von Fürstenwalde war das. Da kamen wir da an und die haben … also das war eine Forschungseinrichtung der DDR. Da wurden Samen für Gemüsepflanzen entwickelt. Da kamen wir dann an. (Pause) Wir haben dann erst mal gesagt, alles, was Staatsbetriebe sind, ist erst mal ÖTV, es sei denn, wir stellen dann plötzlich fest, das ist doch vollkommen unpassend. (kleine Pause) Dann kam der Leiter raus, der stellte sich dann vor, ich bin der Dr. Sowieso, ich bin hier der Leiter. Alle Belegschaftsmitglieder sind bereits in die Gewerkschaft ÖTV in der DDR überführt worden. Da haben wir das erste Mal gestutzt und haben gesagt: Kollege Dr. Sowieso, aber weißt du, überführt worden geht nicht, überführt werden nach unserem Verständnis nur Tote, die werden überführt von A nach B oder wieder zurück. Aber in die Gewerkschaft wird niemand überführt, sondern in die Gewerkschaft können Menschen eintreten, wenn sie wollen. Ja, sagt er, die waren alle im FDGB. Haben wir gesagt, ja, das sehr ehrenvoll, sich gewerkschaftlich zu organisieren, akzeptieren wir auch, wunderbar. Wir erkennen die Zeiten auch an. Das haben wir als ÖTV gemacht. Wir haben gesagt, wer vorher gewerkschaftlich organisiert war, was kann denn der Kumpel dafür, wenn's keine andere Gewerkschaft gab als den FDGB, wenn er meint, gewerkschaftlich organisiert sein, ist in Ordnung, dann hat er ja nur noch eine Chance gehabt. Er konnte nicht aussuchen. Haben wir gesagt, wir erkennen das an, wenn jemand Mitglied der Gewerkschaft geworden ist, dann soll er das auch sein, erkennen wir die Zeiten an. Aber das geht nur, wenn er den Aufnahmeantrag unterschreibt. Jeder einzelne und höchstpersönlich. Und das war die erste Klippe, die wir nehmen mussten, weil die alten Betriebsfunktionäre sehr häufig davon ausgingen, dass das alles jetzt – ich sag mal – nur mit 'nem anderen Etikett irgendwie so weitergeht. Und wir erst mal klar machen mussten, dass wir erst ganz, ganz am Anfang sind, beispielsweise wenn wir ihnen dann unser Vertrauensleutesystem erklärt haben oder erklärt haben, wie denn die Liste für die Betriebsratswahlen erstellt wird, dass ... dass das also entwickelt wird von unten nach oben, dass das ein demokratischer Prozess ist, bis das steht und dass 'ne Organisation nur sehr schwierig eingreifen kann. Es muss schon ganz schlimme Gründe geben, wenn sie sagt, nee, da machen wir nicht mit. Das war schwierig. Das war gar nicht einfach bei vielen. Bei vielen andern war es aber auch dann wieder so, da war das wie 'ne Erleichterung, hatte ich das Gefühl. Da war das, als wenn 'n Stein runtergefallen wäre. Ich glaub nicht, dass alle die Menschen, die ... die in der SED waren (kleine Pause) Stasi-Spitzel gewesen sind. Ich hab viele Menschen kennengelernt, die sich da gesellschaftspolitisch engagiert haben, ja ich sag mal genau da, weil's, ja, weil's nix anderes gab. Also sie hatten dann die Wahl, entweder – ich sag mal – Helden zu sein und offen gegen das Regime aufzutreten und da sollte sich wirklich jeder fragen, wie viel Held bin ich, hätte ich den Mumm und würde ich alles aufs Spiel setzen und auftreten und sagen, ich mag nicht, oder würde ich versuchen, mich irgendwo zu arrangieren, zu sagen, ich will da, wo es was zu tun gibt und wo ich auch glaube, dass es richtig ist, was tun.
Und dann habe ich Bekanntschaft gemacht, mit dem Eintritt in die Lehre wurde ich dann Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft, weil als ich loszog mit meinem Koffer dann nach Dortmund, da hat mein Vater mir gesagt: Und wenn du am nächsten Wochenende nach Hause kommst, dann gehe ich davon aus, hast du das richtige Gewerkschaftsbuch, und zwar nicht das vom Deutschen Beamtenbund, sondern von der Deutschen Postgewerkschaft, das ist nämlich eine DGB-Gewerkschaft. Ja, da ich ja bis dahin auch sowieso nix anderes kannte, also ich, ja gut, Gewerkschaften kannte ich schon durch meinen Vater, der war Betriebsrat auf’m Pütt, also auf der Zeche. Der war Mitglied der IG Bergbau, der hatte Seminare besucht, der hat die Sozialakademie in Dortmund besucht, also das war für mich alles nicht fremd. Mit Sozialakademie in Dortmund hab ich für mich nur verbunden, dass es dann öfter Pellkartoffeln gab, weil das Stipendium halt offensichtlich so im Nachhinein betrachtet wahrscheinlich 'n bisschen knapp war, aber okay. Dann war klar ich … die ... die gingen auch sofort am ersten Tag rum und haben gesagt, hier ist der Aufnahmeschein, das ist für die Deutsche Postgewerkschaft und da müsst ihr nur noch da unten unterschreiben, dann ist alles in Ordnung. Das haben die Ausbilder gemacht. Das gehörte offensichtlich also auch zum Ausbildungsprogramm. Na gut, aber da ich ja sowieso Bescheid wusste, habe ich auch gleich unterschrieben. Dann war ich also am 1. Mai 1959 wurde ich dann Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft. Stolz wie Hacke! Wie ich nach Hause kam, hatte ich noch kein Mitgliedsbuch, war peinlich, weil Vater halt wollte erst nicht glauben, dass ich schon Mitglied geworden war, ne. Aber ich hab ihm das versichert. Ja gut, da hab ich dann das erste Mal kennengelernt, also was denn tatsächlich direkt Gewerkschaft für einen Beschäftigten bedeutet, weil dann kamen die Jugendvertreter der Deutschen Postgewerkschaft und haben mir dann oder uns dann erzählt, was sie machen und worauf das ankommt und worauf wir achten müssen und dass wir da Hilfestellung kriegen können in bestimmten Ausbildungssituationen. Wenn was mit dem Lehrlingsheim nicht in Ordnung ist, dass wir uns auch an sie wenden können. Ja, und da war für mich eigentlich klar, die sind auch so was Ähnliches wie Pfadfinder. Also die sorgen dafür, dass also den Leuten Gerechtigkeit widerfährt. So, das war so mein erster Eindruck und das fand ich spannend.
Wenn man sich politisch äußert, läuft man Gefahr, also dass man polarisiert, wenn man ... wenn man sich klar äußert. Da habe ich keine Probleme mit. Beispielsweise in der Frage Migration und Ausländerfeindlichkeit. Das ist ja … Ich sag mal, das ist ja auch … die Gewerkschaften können ja nicht sagen, dass es das bei ihnen gar nicht gäbe. Das ist ja vollkommener Quatsch. Also wer das behauptet, der ... der ist doof oder er träumt. Ausländerfeindlichkeit, jetzt sag ich mal, im realsoz … real … real … in … in der ehemaligen DDR, wo die internationale Solidarität mindestens einmal sonntags, auf jeden Fall am 1. Mai öffentlich proklamiert wurde, gab es Ausländerfeindlichkeit. Oder warum hat man die Leute aus Mosambik Bimbos genannt und die aus Vietnam, wie hat man die genannt? Ich weiß es gar nicht mehr. So, das ist Ausländerfeindlichkeit und das hat's auch hier gegeben und gibt es natürlich immer noch leider. So, aber dem muss man entgegentreten, dann … Ich hab ein Beispiel. Wir haben 'ne Betriebsversammlung gehabt bei der Straßenbahn in den 70er Jahren. Da ging das dann auch los, weil da wurden die ersten eingestellt, das waren türkischer Abstammung und die ersten marokkanischen Abstammungen und also, ja, die ersten ausländischen Straßenbahnfahrer kamen oder Busfahrer kamen dann da in den Betrieb. Und da ging ... plötzlich stellte sich raus, es war ein NPD-Funktionär, der war auch Busfahrer bei der Straßenbahngesellschaft. Und der hat dann versucht, Feuer zu legen. Und wir haben das mitbekommen und haben gesagt, da gibt’s immer wieder aufflackernde Diskussionen und das wird auch stärker. Also da sagen dann immer mehr: Ja, da ist aber auch wahr, das nimmt aber … Das war die Zeit, also wo ... wo grade die letzten Zechen geschlossen haben und dann also man sich die Frage stellte, wo kriegen wir neue Arbeit her. Das spielte im Hintergrund schon 'ne Rolle, das nutzten die auch sofort aus. Da habe ich mich dann hingestellt und hab gesagt: Ja, wenn ich hier in den Saal gucke, wo 300 Leute aus'm Ruhrgebiet sitzen, jetzt sag ich das mal provokativ, wer – wessen Familienname endet mit „ski“? Dat ist ja wohl typisch westfälisch. Und ich selber, mein Name endet nicht auf „ski“, da kann ich nur sagen, hab ich ja Glück gehabt, weil mein Uropa, der ist aus Oppeln, und das war zu der Zeit noch polnisch, 1880 nach Bottrop gekommen. Der war in Polen Uhrmacher und ist dann auf … auf … auf der Zeche Rheinelbe, wie haben die damals gesagt, wurde er angelegt. Der ist dahingekommen, hat als … als … als Hilfsarbeiter unter Tage gearbeitet, weil er da Geld verdienen konnte, weil er eine Wohnung kriegte und weil er was zu heizen hatte für seine Kinder. Deshalb ist der gekommen. Der hieß Wroblowski, also auch „ski“. So, da sag ich, da gibt’s welche unter uns, die können den Namen ihrer Vorfahren noch nicht mal pfeifen. Und wir regen uns heute auf, dass hier Menschen herkommen, die hier arbeiten wollen? Wir? Ausgerechnet? Das 'ne Unverschämtheit. Ich ... ich würde, wenn ich das ... wenn ich mich dem anschließe, würde ich meinen eigenen Urgroßvater in den Arsch treten und würde sagen, was hast du eigentlich hier zu suchen gehabt – du Emanuel Wroblowski. So, da ... man kommt da ran. Dass man damit dann auch (Pause), ich sage mal, Diskussionen herausfordert, das ist klar, aber ohne die geht es gar nicht. Aber dann müssen wir uns dem auch stellen.
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Günter Dickhausen wurde am 20. Juli 1944 in Bilstein bei Lennestadt geboren. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er von 1959 bis 1962 eine Ausbildung zum Fernmeldemechaniker bei der Bundespost und trat in die Deutsche Postgewerkschaft ein. Bei der Bundespost arbeitete Dickhausen nach seiner Lehre in verschiedenen Funktionen, ehe er 1969 zu den Stadtwerken Bochum wechselte und sich fortan in der Abteilung Energie der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) engagierte – unter anderem als Vertrauensmann und Betriebsrat. 1973 trat er in den hauptamtlichen Dienst der ÖTV und arbeitete als Sekretär, stellvertretender Geschäftsführer und schließlich Geschäftsführer des Kreisverbands Bochum. Zwischen 1990 und 1991 war Dickhausen kommissarischer ÖTV-Geschäftsführer in Frankfurt/Oder. 1992 erfolgte seine Wahl in den Geschäftsführenden Hauptvorstand der ÖTV und 1995 in den Geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, aus dem Dickhausen 2002 altersbedingt ausschied.

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