Das führte auch dazu, dass er dann, nachdem ich den Anschluss gefunden hatte, darauf drängte, aufs Gymnasium zu gehen. Ich hatte also anderthalb Jahre Zeit nach meiner Rückkehr aus Bayern, mich also auf die Prüfung, es gab damals Aufnahmeprüfungen, vorzubereiten. Ich hatte die Prüfung bestanden, aber dann gab es den Schreck, dass wir hörten, wir mussten Schulgeld bezahlen. Da wir kinderreich waren, statt 20 Mark nur 10 Mark, aber die 10 Mark fielen unserer Familie schon schwer. Das hatte einmal den Grund, dass eh die Löhne sehr niedrig waren und mein Vater hatte ständig mit dem Magen Probleme und deshalb musste er öfter krankfeiern, sagte man, aber feiern war das ja nicht, wenn man Magenschmerzen hatte, sondern war arbeitsunfähig erkrankt und dann wurden damals schon die Löhne beträchtlich gekürzt. Wir kamen schon mit dem normalen Lohn nicht über die Runden und mit den 70 oder 75 %, die bei Kinderreichen dann noch übrigblieben, war kaum das normale Haushaltseinkommen aufzubringen geschweige denn auch noch Schulgeld. Aber neben diesem Schulgeld spielte natürlich auch eine Rolle, meine Eltern konnten mir keine Bücher kaufen, keine ordentliche Kleidung, die sozusagen dem Rahmen gemäß war, in dem man dann lebte. Ich erinnere mich grade, was die Kleidung angeht, an eine Geschichte. Ich hatte einen Kommunionanzug, den hatte ich noch aus Bayern mitgebracht und der wurde so oft gewaschen, weil das ja immer alles sauber sein musste, meine Mutter war eine sehr reinliche Frau, was ja gar nicht ausblieb, bei engen Verhältnissen und vielen Kindern, da musste man dafür sorgen, dass also Ordnung war und dass Sauberkeit war, sodass der nach vielem Waschen dann so porös war, dass ich also an der Schiefertafel stand, ich dann mit nacktem Hintern dastand. Unterwäsche war für uns damals eine unbekannte Kategorie und das war für mich natürlich sehr einschneidend und ich schämte mich, sodass also es mir sehr unangenehm war, überhaupt am nächsten Tag noch in die Schule zu gehen, aber es kamen auch weitere Dinge hinzu. Es kam dann hinzu, dass beim Schulausflug, den also dann Verwandte von uns bezahlten, dass ich dann 20 Pfennig mitbekam und dann das Essen war im Fahrpreis enthalten und ich hab dann noch ein Eis gegessen, dann waren die 20 Pfennig weg und als ich Durst hatte, dann musste ich dann also an den Rursee da hin und hab dann also aus dem Rursee mit den Händen hab ich also dann getrunken, während andere, die konnten noch ʼne Limonade oder ʼne Coca gab’s, glaub ich, damals noch nicht, kann mich nicht erinnern, aber jedenfalls sie konnten noch ein Getränk zu sich nehmen und das war wieder ein Punkt, wo ich gesagt habe, mein Gott, hier passt du eigentlich gar nicht rein. Und dann kam noch ein weiteres Ergebnis, wir hatten eine Fußballmannschaft, aber Voraussetzung war Fußballschuhe und ʼne Kluft und daran war bei unserer finanziellen Situation überhaupt nicht zu denken. Nach sechs, sieben Monaten oder ein bisschen mehr aufm Gymnasium kam dann der Gerichtsvollzieher und wollte das Schulgeld pfänden. Nun, zu pfänden gab es bei uns nichts, denn das was wir hatten, brauchten wir und das meiste hatten wir nicht, selbst Dinge, die man hätte brauchen können. Also was tun? Mein Vater wurde dann zum Rektor geladen. Der hat dann also großzügig erklärt, das Schulgeld wird erlassen, aber das half mir nicht, denn ich hatte keine Schulbücher und bei einem Haushalt, wie dem unseren, mit den vielen Kindern, mit den engen Räumen, gaben auch diejenigen, die uns kannten, nicht gerne die Schulbücher mit, weil sie alle Angst hatten, da könnte was drankommen. Und da die ja wohl auch nicht so üppig lebten und neue Schulbücher kaufen konnten, hatte man dann also das Problem, dass man seine Aufgaben ohne Schulbücher machen musste und das war nahezu unmöglich. Also habe ich dann entschieden, ich will nicht mehr, obwohl dann Bekannte und Verwandte gesagt haben, wir helfen usw. Aber ich hab also irgendwie mich schon so in schwieriger Lage gefühlt und beschämt gefühlt, dass ich einfach weg wollte vom Gymnasium. Und das ist dann auch geblieben, allerdings mit dem Ergebnis, als ich auf die Schule… Normalschule zurückkam, hat mein Lehrer mich nicht mehr angeguckt. Der war sauer, dass sein Versuch, Kinder aus der Arbeiterschaft aufs Gymnasium zu bringen, gescheitert war. Wir sind mit vier rübergegangen, neben mir drei Schulkollegen, einer, der hatte Eltern, die also finanziell gut dran waren, der ist auch geblieben. Ich weiß auch nicht, was aus ihm geworden ist. Zwei andere, die sind also dann vorzeitig vorm ersten Halbjahr sind die wieder zurückgegangen, aber die kamen mit unserm Lehrer auch ganz gut zurecht, während er mich ignorierte.