Mein Vater war ungelernter Gleisbauarbeiter und meine Mutter kam aus Wien, die hat er aus dem Krieg mitgebracht, was noch eine wichtige Rolle spielte in meinem späteren Erleben und meiner Entwicklung auch hin zur Gewerkschaft oder zur Politik. Ich bin dann mit zur Schule gegangen in diesem kleinen Dorf in diesem kleinen Dorf, Dalheim-Rödgen am Niederrhein, zur Volksschule, und habe da schon meine ersten Erlebnisse gehabt, weil wir, da die Mutter ja aus Wien kam, so als Fremde betrachtet worden sind. Also, wir waren nicht aus dem Ort alle kommend, nur mein Vater, meine Mutter nicht. Mein Bruder ist sogar in Wien geboren, ich in diesem kleinen Ort geboren, aber von vielen, sowohl von dem Lehrer als auch von den Bewohnern in diesem kleinen Dorf, wurden wir doch eher als Zugereiste betrachtet, die nicht ganz so da hingehörten. Und dann habe ich schon als kleines Kind, mit vier, fünf, sechs Jahren erlebt, wie man da ausgegrenzt wurde, bei bestimmten Aktivitäten oder bei Spielen, bei Dingen, die im Dorf stattfanden. Und das war so mein erstes Erlebnis, was ich so nicht ganz positiv und gut fand und auch mir als Kind gar nicht erklären konnte, was ist die Ursache dafür, dass ich da so geschnitten werden auch von den anderen Kindern oder von auch den Erwachsenen. Nicht von allen, muss man sagen, aber doch von großen Teilen dieser Erwachsenen. Dann war das zweite Erleben, der Niederrhein ist ja sehr dominiert von der katholischen Kirche, zumindest in der damaligen Zeit. Und es wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass man auch Aktivitäten entfaltete innerhalb dieser Kirche. Entweder als Messdiener, dass man regelmäßig zur Kirche ging. Und mein Elternhaus war so nicht gepolt. Wir waren zwar, auch ich, katholisch, aber wir gingen halt nur ganz selten in die Kirche und haben uns da auch nicht so eingefügt, wie es erwartet wurde. Und da habe ich dann schon zum ersten Mal Dinge erlebt, auch als Kind im ersten, zweiten Schuljahr, der Intoleranz. Diese Meinung, diese Auffassung wurde nicht toleriert. Es wurde erwartet und dann auch mehr oder weniger mit Maßnahmen gezwungen, dass man halt zur Kirche gehen musste oder gehen sollte. Und es stand schon so was wie ein Zwang dahinter, den ich als Kind auch sehr, sehr negativ, sehr drückend und bedrückend empfunden habe. Das war eine Situation, an der ich viel zu knabbern hatte und die später auch dazu geführt hat zu sagen, so willst du nie selber werden oder so willst du nie selber auch andere Menschen unter Druck setzen oder in Zwangssituationen bringen, Dinge zu tun, die sie eigentlich gar nicht wollen. Wir sind dann 1954 in eine größere Stadt gezogen, Rheydt, heute ein Stadtteil von Mönchengladbach, und bin dort dann zur Volksschule weitergegangen und auch zur Realschule. Und schon in der Volksschule war dann wieder ein neues Erleben, wieder mit dem Pfarrer der katholischen Kirche, der sehr intolerant war und eine Steigerung, die ich da erlebt habe als Kind, die ich mir halt nie so vorstellen konnte. Nämlich, wer nicht zur Kirche ging am Sonntag – es wurde Montagmorgen abgefragt –, der bekam mit dem Lineal zehn Schläge auf die flache Hand, um zu lernen, auch zur Kirche zu gehen. Das heißt, das, was die Kirche vorgab, christliche Nächstenliebe, Toleranz, Verständnis, war in der Praxis überhaupt nicht feststellbar, sondern eher im Gegenteil, es war Gewalt, es war Druck, es war Zwang, der ausgeübt wurde, der dazu geführt hat, dass ich mich dann schon sehr bedroht fühlte und auch abgewandt habe. Das war ein Punkt, der dann später von mir sofort umgesetzt wurde, nämlich mit dem 14. Lebensjahr bin ich aus der Kirche ausgetreten. Da hatte ich den Mut, zum Amtsgericht zu gehen, meine Eltern waren zwar dagegen, aber ich habe es dann trotzdem gemacht, weil ich gesagt habe, das kann ich nicht so akzeptieren, diese Intoleranz, die man dort erlebt. Dann bin ich 1955 zum Gymnasium in Rheydt und habe dann das dritte Erlebnis gehabt, in einer Grundlage auch für späteres Handeln und Denken. Wir waren in der Sexta, Gymnasium, rund 50 Kinder, das waren sehr viel, wurden alle aufgenommen. Aber der Klassenlehrer hat dann gleich zu Beginn des Schuljahrs gesagt: Und er will eins klarstellen, am Ende werden wir in dieser Klasse in der Quinta, also im zweiten Schuljahr, nur noch die Hälfte sein, weil er dafür sorgen wird, dass alle die, die aus dieser Eisenbahnersiedlung kommen, das zweite Jahr nicht mitmachen können, das heißt, das erste nicht überleben. Die werden dann entweder sitzenbleiben oder gehen freiwillig von dieser Schule, weil, dieses Gymnasium ist eher für andere Schichten der Bevölkerung als für die, die damals in der Eisenbahnersiedlung wohnten. Das war eine neu gebaute Eisenbahnersiedlung für Gleisbauarbeiter, Heizer, Lokführer, also alle die, die aus dem Arbeiterbereich bei der Bahn gearbeitet haben wie mein Vater. Und das Erlebnis war auch dann sehr einschneidend, das hat sich auch umgesetzt, die Hälfte. Und merkwürdigerweise, alle, die aus dieser Siedlung kamen, haben das erste Jahr nicht erlebt, sind nicht versetzt worden und sind dann entweder zurück zur Volksschule oder zur Realschule. Und dieses Erlebnis der sozialen Ausgrenzung, das war mit ein Motiv für mich, dann auch als Kind schon daran zu denken, das musst du verändern, das kann man nicht so akzeptieren, dass die, die sozial eher in der unteren Schicht sind – Vater eben einfacher Arbeiter gewesen –, dass die keine Chance haben, obwohl ich in der Volksschule sehr gut war, dann weiterführende Schulen zu besuchen, weil die Lehrer aus einer anderen Gesellschaftsschicht kamen und dafür sorgten, dass auch nur ihre Schicht dann weiter das Gymnasium besuchen konnten, wobei man sagen muss, es war Anfang der 50er-Jahre, also 54, 55, sicher ein anderes Denken als heute, aber ein sehr prägendes Denken für mich.