Jutta Schmidt

Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Video 2 – 2:29
Neues Forumi
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)i
Sozialdemokratische Partei in der DDRi
Wiedervereinigungi
Video 3 – 4:44
Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB)i
Betriebsgewerkschaftsleitungi
Betriebsverfassungsgesetzi
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Gewerkschaft ÖTV in der DDRi
Gewerkschaft Wissenschafti
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)i
Audio 4 – 1:05
Arbeiter_ini
Gerechtigkeiti
Audio 5 – 1:58
Betriebsgewerkschaftsleitungi
Neues Forumi
Vertrauenskörperi
Audio 6 – 1:59
Neues Forumi
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED)i
Audio 7 – 1:50
Neues Forumi
Audio 8 – 1:51
Personalrati
Betriebsversammlungi
Betriebsrati
Mein Aha-Erlebnis kam dann kurz nach der Mauer. Nach dem Mauerbau als man in der Oberschule unseren, für meine damaligen Begriffe sehr liberalen, Direktor durch einen sehr parteitreuen Lehrer ersetzte. Das hat eigentlich dann dazu geführt, dass ich an vielen Stellen immer überlegt habe: „Warum soll das so sein? Warum muss das so sein?“ Während des Studiums in Dresden 450 Studenten am Anfang, 300 Studenten zum Schluss und natürlich von den 450 Studenten 20 Frauen in dieser technischen Fachrichtung, da genießt man an einigen Stellen doch manchmal eine wohlwollende Sonderrolle nach dem Motto: „Mädels, die technische Fachrichtungen studieren, muss man fördern.“ Andere Dozenten waren der Meinung, Mädels muss man erst mal sagen, dass sie eigentlich hier nichts zu suchen haben und dementsprechend ist man härter in den Prüfungen. Ich bin dann, wir sind dann danach, im letzten Studienjahr habe ich dann noch unseren Sohn geboren, habe deswegen acht Wochen später meine Diplomarbeit abgegeben als meine Kommilitonen. Und dann sind mein Mann und ich nach Greifswald in einen Betrieb der Fernmeldetechnik. Ich habe dort als Technologin gearbeitet. Der Betrieb wurde neu aufgebaut. Dem entsprechend wurden Wohnungen und Krippenplätze versprochen. Diese Versprechungen wurden dann zwar nicht schnellstens umgelöst, aber es führte trotzdem dazu … Wir haben dann zehn Jahre lang in, oder zwölf Jahre lang fast, in Greifswald gearbeitet, zwölf Jahre für meinen Mann, elf Jahre für mich. Ich als Technologin, und hatte dort auf Grund meiner Tätigkeit eigentlich einen guten Überblick auch über die Verhältnisse in der Produktion in der DDR, die dann schon an vielen Stellen mit den Engpässen zu kämpfen hatte. Die Schrecken der Planwirtschaft: Mitte des Monats kam das Material, trotzdem sollte alles bis Ende des Monats fertig sein. Also diese Höhen und Tiefen der DDR-Planwirtschaft haben wir dann hautnah erfahren.
Das Neue Forum hatte überhaupt an vielen Stellen … Das Neue Forum kann man sowieso schon nicht sagen. Man muss immer sagen: Die Personen aus dem Neuen Forum, weil ich habe im Neuen Forum zum Beispiel viele, viele Personen kennen gelernt, die gar nicht, die Politik und die Ziele (…) der DDR so in Frage stellten, sondern eigentlich immer der Meinung waren, das sind nur die falschen Personen, ja. Also zum Teil Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt aber in Richtung, ich sage mal, Wirtschaftspolitik oder so, da hatte das Neue Forum so gut wie keine Agonisten in ihrer (…) auch in ihrer Führung. Ja, also gucken wir uns doch mal an hier: Malerin Bärbel Bohley, Rechtsanwälte, Pfarrer, Ärzte. Das waren ganz wenige Leute aus der (…) aus diesen Werktätigen, aus diesen Industrieberufen. Und die Wenigen, jetzt zum Beispiel aus dem Halbleiterwerk in Frankfurt/Oder, also die wenigen Ingenieure und so weiter, die sich da engagiert haben, die sind dann sofort zur SPD gegangen, als die SPD in Frankfurt/Oder aktiv wurde. Die sind da relativ schnell beim Neuen Forum wieder raus. Und dann hatten wir natürlich viele in dem Neuen Forum aus diesen Sozialberufen und auch … Ich habe das dann auch in den ersten Regierungen nach der Wendezeit festgestellt. Also Leute wie Regine Hildebrandt und auch Michael Platzeck [gemeint ist Matthias Platzeck, C. H.], die konnten ganz, ganz wenig mit Gewerkschaften als solches anfangen. Auch diese Rolle, die die Gewerkschaften in der Demokratie spielen, die war ihnen überhaupt nicht irgendwo präsent.
Ich habe also praktisch ab 1. Januar beziehungsweise letzten Dezember nichts mehr an meinem alten Arbeitsplatz gemacht, sondern nur noch Arbeitnehmervertretung. Und das ging dann eben zum Beispiel soweit, dass ich zu dem gesagt habe, Anfang Januar: „Ich fahr´ jetzt mal zum DGB nach Berlin und zur Gewerkschaft Wissenschaft und hol´ mir Material. Ich weiß, Sie können mir keinen Dienstreiseauftrag ausfüllen, das geht nicht, aber ich bin Donnerstag jetzt mal nicht im Haus.“ Das habe ich dann gemacht. Und dann bin ich erst zu der Gewerkschaft Wissenschaft nach Berlin und bin da dann rein: „Guten Tag!“, und so weiter, „Bin die und die“, und dann hat der mir da einen Vortrag gehalten und das Statut von Berlin gegeben und so weiter. Und dann dachte ich: „Nee, das sieht ja nach Lehrer aus!“ „Nee“, dachte ich, „das ist nichts, das ist nichts für uns!“ Na gut. Also dann bin ich da wieder raus, habe gesagt: „Schönen Dank!“, bin weiter zum DGB-Haus in Berlin, und die hatten das da schon alles generalstabsmäßig, nach dem Motto: „Wo kommst´ her, aus dem Osten? Guck mal dahinten sind Regale, da kannst du dich bedienen, was du brauchst, kannst du immer mitnehmen. Ist alles in Ordnung.“ Na, jedenfalls bin ich dann mit so zwei Taschen wieder zurück und habe, ja wie in schöner Wissenschaftlerzeit, Selbststudium gemacht. Habe also Kittner, die Sozialordnung und alles Mögliche, alles, Betriebsverfassungsgesetz, Personal..., alles immer so, nur gelesen, gelesen, gelesen und habe aber an ÖTV überhaupt nicht gedacht, dass wir also nach dem westlichen Verständnis eine öffentliche Forschungseinrichtung sind. Woher, woher? So, war also für mich völlig weg. So und dann wusste ich, dass da wie gesagt jemand von der ÖTV rum tourt und mein, wir waren ... das Institut war lustig, mein ehemaliger, einer meiner ehemaligen Kollegen war dann der erste Oberbürgermeister von Frankfurt. Der hatte sich in der SPD engagiert, der kannte also die Cornelia Hintz da von der ÖTV. Und die hatte hier auch so, diese ganze Gesetzessammlung, was man so alles braucht. Und wie gesagt, ich habe immer nur Bücher gelesen, Bücher gelesen, Bücher gelesen. So und dann habe ich irgendwann mal die Connie Hintz dann von der ÖTV kennengelernt und habe mir die Gewerkschaftsstrukturen dann in dem Sinne erzählen lassen und habe dann auch gesagt, dass ich bei der Gewerkschaft Wissenschaft war und habe gesagt: „Nein, das ist nichts für uns. Die nimmt ja bloß die Wissenschaftler. Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, das ist so mein Ding.“ Und da sagte dann Connie zu mir: „Naja Jutta, ihr gehört doch zum Organisationsbereich von der ÖTV.“ Ich sagte: „Wieso von der ÖTV? Ja, ich habe da immer Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr …“. „Naja“, sagt sie, „das ist doch eine öffentliche Forschungseinrichtung dein Institut.“ – „Ach“, sage ich, „dann können wir alle in die ÖTV?!“, sage ich: „Das ist gut Connie, das gefällt mir!“ So und einen Monat später erzählt mir Connie das von der ÖTV in der DDR. Und keiner wusste ja, wie lange das da noch mit der DDR geht. Ich sage: „Connie, das ist es!“, sage ich: “Da ist unser Institut dabei!“, sage ich: „Das ist es. Das finde ich prima. Das ist hervorragend!“, sage ich. „Du ab sofort hier …“ Und dann habe ich … Die ÖTV in der DDR ist gegründet worden am 9./10. Juni und ich glaube am 1. Juli, ich weiß nicht, ob wir noch 50 Leute im FDGB waren, im Institut für Halbleiterphysik, oder sogar noch weniger. Ich habe meinen Leuten allen immer gesagt: „Geht da hin, werdet Mitglied der ÖTV in der DDR! Ich komme dann nach, nach dem 01.07.“ Und die sind alle schön brav Mitglied der ÖTV in der DDR geworden. Und ich habe es mir, wie gesagt, für mich nicht gegönnt, weil ich gesagt habe: „Ich habe eine Funktion der Gewerkschaft Wissenschaft. Ich muss bleiben, bis die BGL hier aufgelöst wird.
Ich war als Technologin verantwortlich für einen Meisterbereich, wo ca. 50, 60 Menschen, vorwiegend Frauen, am Band gearbeitet haben. Der Meister war ein Mann, der Rest waren Frauen. Ich habe versucht, mit meiner Arbeit an dieser Stelle ein bißchen dazu beizutragen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, also für etwas vernünftigere Fertigungsabläufe zu sorgen. Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt, meine Mutter war Schneiderin und hat immer für einen Hungerlohn gearbeitet. Ich fand das als Kind schon sehr ungerecht. Vielleicht bin ich auch deswegen mit den Frauen dort so kollegial umgegangen, weil ich es schade fand, wie sie ihre Arbeitskraft 8 ¾ Stunden verkaufen müssen und im Endeffekt ein doch, na sagen wir mal, karges Leben führen.
Wir hatten nun keinen mehr, der unsere Interessen gegenüber der Betriebsleitung vertreten konnte. Unsere damalige BGL, diese 15 Hansel, haben sich alle fragend angeguckt, wer dann jetzt von uns den BGL-Vorsitz übernehmen würde. Aus der ganzen 15köpfigen BGL wollte keiner. Dann haben wir eine Vertrauensleutevollversammlung gehabt (25 Vertrauensleute). Einer mußte ja nun an den Tisch des Direktors. "Jutta, kannst Du das nicht übernehmen, wenigstens als amtierende BGL-Vorsitzende?" Da habe ich dacht, jetzt hast Du Dich gerade für das "Neue Forumn entschieden, und jetzt kommen die Kollegen hier mit solchen Sachen. Zuerst habe ich gedacht, das kann ich eigentlich nicht machen. Dann sagte ich mir, irgendwie kriegst Du das hin, vielleicht läßt sich einiges auch miteinander verbinden. Der BGL-Vorsitz ist eine gesellschaftliche Tätigkeit, und wenn Du für die BGL unterwegs bist, dann machst Du etwas fürs "Neue Forum". Das kriegt ja der Direktor gar nicht mir (das "Neue Forum" war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zugelassen). Es ließ sich dann sehr gut miteinander verbinden. So habe ich mich Mitte Dezember dazu entschlossen, als BGL-Vorsitzende zu amtieren. Davon habe ich mich nicht mehr erholt, d.h., hier begann meine "Gewerkschaftskarriere".
Dann kam die Vorbereitung zur Volkskammerwahl. Das "Neue Forum“, das waren fast alles Leute aus der Kirche, die politisch relativ unerfahren waren. Sie wollten eine Liste für die Volkskammerwahl aufstellen und dachten, wir treffen uns und benennen die Kandidaten. Da mußte ich ihnen sagen: "Leute, so war das früher bei der SED, so geht das heute nicht mehr. Wir müssen ein Wahlprotokoll machen, eine geheime Wahl durchführen usw. Diese Formalitäten widersprachen ihrem Demokratieempfinden völlig. Auf diese Art und Weise, da ich mich häufig gefragt oder ungefragt zu Wort meldete, wurde ich schlagartig im Februar in den neuen Sprecherrat des "Neuen Forums“ gewählt. Jutta, Du gehst doch in den Sprecherrat, Jutta, wir brauchen doch einen, der die Wahlen da mit vorbereitet. Dort gab es oft Diskussionen, wenn es darum ging, Forderungen der Arbeitnehmer zu formulieren. Ich habe dann meist gesagt: "Leute, laßt die Finger davon, das ist ureigenes Gebiet der Gewerkschaften, dafür gibt es Tarifverträge etc.“ Die von der Kirche hatten gar keine Beziehung zu diesen Problemen.
Für mich lag die Schlußfolgerung nahe, Halbleiterscheiben messen, das kann jeder, der das studiert hat. Das hängt nicht von der politischen Haltung ab. Aber wenn Du die Gesellschaft verändern willst, kannst Du eben nicht mehr Halbleiterscheiben messen wollen, sondern mußt Dir überlegen, wo Du politisch mitgestalten kannst. Das war auch vor Ort an dem Institut möglich, doch jetzt sagte ich frei nach Insterburg, "dann wurd es mir zu klein und ich zog in ganz Deutschland ein“. So habe ich es aber nicht gemeint, zum damaligen Zeitpunkt. Wenn man politische Erfolgserlebnisse hat, wenn man erlebt, daß die Kollegen Dir Vertrauen schenken, nicht nur jene 15 Kollegen, die ständig mit Dir umgehen, sondern auch immer öfter Leute, die Dich viel kürzer kennen, wie zum Beispiel die Kollegen im "Neuen Forum“, Du merkst, daß Du irgendetwas mitzuteilen hast, das anderen Leuten etwas gibt, dann denkst Du, daß dies alles doch ein bißchen mehr ist, als diese Halbleitermesserei. Dadurch ist mir der Abschied von meinem technischen Beruf gar nicht so schwer gefallen.
Meine Arbeit bei der ÖTV war zu Anfang im Prinzip überhaupt nicht anders, als die Arbeit im Personalrat, nur, daß Du die Leute, die zu Dir kamen, vorher nicht kanntest, daß Du das Umfeld nicht kanntest und immer erst einmal das Umfeld erfragen mußtest und daß Du bei Personal- oder Betriebsversammlungen, wo Du hingegangen bis, keine Heimspiele mehr hattest. Im Institut, da warst Du Kollege unter Kollegen und da wußtest Du ganz genau, was rechts und links läuft. Wenn Du in eine Betriebsversammlung gehst, wo Du eigentlich nur weißt, wie der Betrieb heißt und zur Not vielleicht noch zwei Kollegen aus dem Betriebsrat kennst, dann ist das natürlich etwas ganz anderes. Da muß man ständig diesem Erwartungsdruck standhalten, weil die Erwartungshaltung an einem Hauptamtlichen sehr groß ist. Ein hauptamtlicher Funktionär weiß selbstverständlich alles, löst alle Probleme und ist mit allen Wassern gewaschen. Das wird an einigen Stellen ganz schön kompliziert. So z.B., als von Kollegen erwartet wurde, daß Du kommst und ihre alten "roten Socken“ wegpustest. Du mußtest dann erklären, daß Gewerkschaften nicht dazu da sind, alte Seilschaften aus dem Dienst zu entfernen, sondern daß dies nach Recht und Gesetz erfolgen muß.
Herunterladen Drucken

Jutta Schmidt wurde am 2. März 1945 in Ketschendorf/Spree geboren. Nach dem Abitur in Fürstenwalde 1963 absolvierte sie eine Ausbildung zur Elektromechanikerin im VEB Halbleiterwerk in Frankfurt/Oder, die sie 1965 erfolgreich beendete. Danach ging sie für ein Studium der Elektrotechnik an die TU Dresden, das sie 1970 als Diplomingenieurin abschloss.

Anschließend arbeitete sie bis 1982 als Fertigungstechnologin im VEB Nachrichtenelektronik Greifswald. 1982 nahm sie eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Halbleiterphysik der Akademie der Wissenschaften der DDR in Frankfurt/Oder an. Dort fungierte sie auch als Vertrauensfrau.

Im Wendejahr 1989 wurde Schmidt Mitglied im Neuen Forum und am Runden Tisch in Frankfurt/Oder. Im Dezember 1989 wurde sie zur Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaftsleitung, im März 1990 schließlich zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt.

Im Juli 1990 trat Schmidt aus der Gewerkschaft Wissenschaft aus. Sie schloss sich der neugegründeten ÖTV in der DDR und im September 1990 schließlich der ÖTV an, in der sie rasch aufstieg. Nach einer Tätigkeit als Sachbearbeiterin in der ÖTV-Kreisverwaltung Frankfurt/Oder wurde sie bereits wenige Monate später stellvertretende Bezirksleiterin des ÖTV-Bezirks Brandenburg. 1992 wurde Schmidt zur stellvertretenden ÖTV-Vorsitzenden gewählt. Nach einer Wiederwahl 1996 schied sie 2000 aus diesem Amt aus.

Herunterladen Drucken