Lorenz Schwegler

Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
Video 2 – 4:59
Unternehmeni
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Video 3 – 4:00
Mitbestimmungi
Unternehmeni
Aufsichtsrati
Und dann hab ich mich irgendwann doch auch entschieden, auch weil das materiell alles ein bisschen knapp wurde, im Juni 1968 mich ins Referendariat zu begeben. Und in diesem Referendariat (Pause) hab ich dann allerdings, das hab ich als sehr, sehr kritisch für mich erlebt, und ich kann einfach so viel zusammenhängend sagen, eigentlich von Station zu Station, die ich als Referendar der Rechte durchmachen musste, also zuerst beim Amtsrichter für Strafsachen, dann beim Amtsrichter für Zivilsachen, dann beim Landgericht, dann bei der Staatsanwaltschaft, dann beim Arbeitsgericht, dann bei der Verwaltung und dann wieder bei … wieder bei gerichtlichen Instanzen, hab‘ ich eigentlich nach jeder Station gedacht, und das willst du auch nicht werden. Und das willst du auch nicht werden. Also ich weiß, das war schon ganz interessant, das Erlebnis wie ich beim Strafrichter war, der auch irgendwo ein resignierter alter Mann war, der dann zu mir gesagt hat: Ach, Herr Schwegler, wissen Sie, bevor ich Richter geworden bin, hab ich mir überlegt, ob ich nicht Förster werden sollte. Und ich hätte das tun sollen, die Tiere sind doch viel besser als die Menschen. (lacht) Und andererseits hat er eigentlich wie so eine Rechtsprechungsmaschine im Wesentlichen zu Kleinkriminellen funktioniert, die irgendwelche Dinge gemacht haben, die man nicht tun durfte und für die dann mehr oder weniger eigentlich (kurze Pause) automatisch, elektrisch dann irgendwelche Strafsätze vorgesehen waren, oder er hat versucht, die Verhandlung möglichst schnell hinter sich zu bringen. Und das auch eigentlich mit einem etwas zynischen Verhältnis zu alledem, was er da betrieb. Da gab es eine herausragende Situation, die erzähle ich mal ruhig doch, weil ich die als besonders skurril empfunden habe, aber nicht unbedingt als vertrauensbildend. Wir hatten da einen Fall eines Türstehers von Sankt Pauli, der hatte zu später Stunde gegen 23 Uhr wohl so im Türbereich seines Etablissements Bilder verkauft, die man seinerzeit pornographisch nannte und die man heutzutage überall eigentlich sehen kann, also schon im Tagesprogramm des Fernsehens. Und dann stand dieser Türsteher wegen der Verbreitung unzüchtiger Schriften vor Gericht und hatte nicht den Hauch von Unrechtsbewusstsein. Und dann sagt der, also was ist denn, das ist doch alles ganz normal, was ich da gezeigt habe. Und da hat der Richter gesagt, aber na hören Sie mal, das sind doch Schweinereien. Och, sagt der, das ist doch eigentlich ganz normal. (lacht) Nein, das sind Schweinereien und das könnten doch auch Kinder sehen. Da sagt der, Herr Richter, doch nicht um 23 Uhr auf Sankt Pauli. Und die, die um 23 Uhr kommen, die kennen das auch, (lacht) für die ist das doch auch ganz normal. Nein, also, hat ihn dann verurteilt, nicht besonders hoch, ich weiß nicht mehr genau zu was, 1000 Mark Strafe oder so was, ersatzweise soundso viel Tage Haft. So weit, so gut, so schlecht. Und dann gingen wir hinterher zur Beratung und dann drehte sich die Szene. Dann sagte er, Herr Schwegler, ich denk mal, dass die Entscheidung, das Urteil, die könn … das können Sie dann schreiben. Dann können Sie ruhig auch die Akte und die Asservaten mal mitnehmen und sich angucken. Er nahm also die Rolle, wenn man so will im Verhältnis zu mir, dieses Türstehers ein. (lacht) Und dann hab ich gesagt, ja, ich tu mich aber ein bisschen schwer, das hier im Einzelnen zu begründen. Da hat er gesagt wieder plötzlich, aber na hören Sie mal, das ist doch unzüchtig. Da hab ich gesagt, wie begründe ich denn die Unzucht. (lacht) Eh, eh, schreiben Sie mal, eh, eh, mh, zeigt, eh, den, eh, menschlichen Geschlechtsverkehr in Abarten und Verschiedenheiten. Dann schreiben Sie das so und dann ist das so. Nun gut, hab ich dann mitgenommen, hab ich dann das Urteil geschrieben und ihm dann da abgeliefert, war ja eh schon gesprochen, musste nur noch begründet werden. Aber ich bin schon zu dem Ergebnis gekommen, eine solche an sich Vollzugsmaschinerie, die gar nicht danach fragt, wo kommt das her, was sind die Ursachen, wie hilft den Menschen, wenn sie denn ins Unrecht gekommen sind, weiter, wie sind sie überhaupt in diese Notlagen gekommen, ich hab gedacht, das ist für mich kein Lebensinhalt.
... das war mehr eigentlich der Veränderungsbedarf in der Gesellschaft, der sich gleichermaßen in der Wirtschaft, in den Unternehmen, in den Parteien, in den Organisationen, in den Universitäten und überall ergeben hatte. Also dass die IG Metall beispielsweise im Jahre 1972 ihren großen Zukunftskongress veranstaltet hat, wo es eigentlich darum ging, ja, aus der bisherigen Routine der … einfach nur der jährlichen Tarifrunden und der Zuwachspolitik herauszukommen und qualitative Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung aufzurufen, das war so das Eine. Parallel, nich‘, die Reformbemühungen um das neue DGB-Grundsatzprogramm, mit dem ja Heinz Oskar Vetter bereits Ende der 60er Jahre angetreten war, dass es eben neben der Vertretungsaufgabe auch eine Gestaltungsaufgabe der Gewerkschaften gäbe. Das lief ja dazu parallel und das lief wiederum parallel zu dem, was Willy Brandt gesagt hatte, mehr Demokratie wagen, weil die alten, verkrusteten, zum Teil ja noch in Reminiszenzen zum Obrigkeitsstaat und zum Nazi-Staat bestehenden Verwaltungsstrukturen und Denkstrukturen vorhanden waren, dass das alles irgendwie nach einer Auflösung rief. Ich glaub, das muss man sagen, da ... da ist an vielen Stellen sind da Kräfte wirksam geworden, die einfach dazu führten, dass man das Alte aufsprengen musste und das führte dann auch temporär eben dazu, dass sich die Organisationen auch aufgerufen fühlten, irgendwo auch Kräfte zu haben, mit deren Hilfe man das Ganze auch intellektuell und konzeptionell bewältigen konnte. Und das war ja auch die Zeit, wo Professoren in einem Maße, wie ich das später nicht mehr erlebt habe, antichambriert haben und interessiert waren, in den Dialog zu kommen. Da waren Gewerkschaften schick. Da war … Da gehörte es dazu, mit Gewerkschaften gut zu können und, wenn man sich überlegt, wie das heute ist, nicht. Da ist das ja wieder im Moment deutlich zurückgegangen, ja. Die Professoren suchen ihr Geschäft da, wo es die attraktiven Drittmittel gibt. Bei Gewerkschaften gibt’s die nicht und vor dem Hintergrund ist eigentlich diese Aufbruchphase im Moment und auch die Dynamik, die aus dieser Aufbruchphase für den Dialog zwischen Gewerkschaften oder auch politischen Parteien und Wissenschaft entstanden ist, nicht da. Zu den politischen Parteien noch eher, soweit die über Mittel des Staatsapparats verfügen. Aber bei Gewerkschaften eben deutlich weniger und damals waren die Gewerkschaften doch in stärkerem Maße auch Hoffnungsträger, von dem man … mit denen man glaubte, auch irgendwas bewegen zu können. Vielleicht wachsen sie wieder in diese Rolle rein. Zwischendurch waren sie es deutlich nicht, sondern aus meiner Sicht eigentlich im Wesentlichen nur noch Besitzstandsverteidigungs- und Rückzugsorganisationsverbände. Was ja bis heute übrigens vielleicht noch ein Problem ist, was wir auch erleben, wenn wir die immer wieder neuen Restrukturierungen in den Unternehmen jetzt heute anwaltlich begleiten, aber die Gewerkschaften tun es ja genauso gewerkschaftlich, wo man eigentlich mit schöner Regelmäßigkeit mit folgendem Problem zu tun hat, dass man für diejenigen, die irgendwelche Besitzstände haben, die Besitzstände sichert und als Preis dafür schlechtere Bedingungen für die Nachkommenden zulässt. Also das ist im Prinzip bessere Bedingungen für den absterbenden Teil der Arbeitnehmerschaft und verschlechternde Teile für die Zukunft gibt. Das heißt, im Prinzip, die alte Generation rettet sich zulasten der jungen Generation und dann wird man sehen müssen, wenn die junge Generation dann die ältere Generation ist, wie sie mit der Situation fertig wird oder wie weit dann diese Situation auch wieder aufgebrochen wird. Dies alles im Übrigen im Zeichen der Globalisierung. Also schon als ich noch bei der Gewerkschaft tätig war, hab ich manchmal gesagt, wenn ich mir unsere Situation im Verhältnis zur Dritten Welt angucke und wenn ich mir auch die Konkurrenz, die ja zunimmt, im Zeichen der Globalisierung weltweit ansehe, dann sind wir natürlich als deutsche Gewerkschaften so was wie die Union der leitenden Angestellten im Weltmaßstab, also das heißt, eigentlich schon fast eine Privilegierten-Organisation. Und das macht das Ganze ja auch nicht einfacher. Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob bei Problemen, die inzwischen eine globale Bedeutung haben, die Erneuerung von dieser Privilegierten-Organisation kommen kann, oder ob sie nicht eher von denjenigen kommen muss, die – sagen wir mal – die breite Masse der Arbeitenden repräsentieren und dann wird es eher wieder drum gehen, für die bündnisfähig zu bleiben, indem man hinlänglich konzeptionell aufgeschlossen ist. Aber das ist jetzt alles sehr abstrakt.
Und dann gab’s einen Artikel im Spiegel, ein Interview mit mir, mehrseitig im Spiegel, unter der Überschrift „Ein weitverbreitetes Unbehagen“, und das befasste sich mit der Frage, wenn man so will, nach Möglichkeiten und Grenzen der Mitbestimmung im Unternehmen, wo ich dann gesagt habe, das Problem eben des Aufsichtsrats, also kann man da nachlesen, ja. Also im Wesentlichen hab ich eigentlich gesagt, das Problem des Aufsichtsrats besteht darin, der ist mal entstanden, als ein geschäftsführender Ausschuss, nicht, als ein beaufsichtigender Ausschuss der Aktionäre zur Beaufsichtigung der Vorstände in einem überschaubaren Unternehmen und mit der … mit wachsender Größe der Unternehmen ist eben, sind einerseits die Apparate der Vorstände gewuchert, Tausende von Leuten, die in den Hauptverwaltungen den Vorständen zuarbeiten und dann ist der Aufsichtsrat, der sitzt klein und fein drei bis viermal im Jahr daneben, ist vorher gut beköstigt worden, ja, und wie soll der überhaupt in der Lage sein, wenn man so will, mit intellektueller Waffengleichheit oder mit intellektueller Augenhöhe überhaupt sich mit dem Vorstand auseinanderzusetzen. Der kann doch nur irgendwelche spontane Unbehagen oder sonst was haben, das heißt, die Frage ist, ob denn die großen Ziele der Mitbestimmung unter gewandelten Bedingungen über einen so konzipierten Aufsichtsrat, der eigentlich der Unternehmensstruktur nur angeklatscht ist und der keinen Unterbau bekommen hat, der eben ansatzweise eben, ja, die intellektuelle Augenhöhe und die argumentative Augenhöhe zum Vorstand ermöglicht, wie soll der überhaupt seine Funktion ausüben und hab dann gesagt, man muss aufpassen, dass die Mitbestimmung nicht zu einer wirtschaftsrechtlichen Variante von Kaisers neuen Kleidern wird. Also er wird hochstilisiert, einmal von den Unternehmen, als ein supermächtiges Organ, weil es wunderschön ist, sich hinter dem zu verstecken, und er wird von den Gewerkschaften hochstilisiert als ein mächtiges Organ, weil man damit seine Bedeutsamkeit unterstreichen will und weil man auch die Attraktivität der Mitbestimmungsforderung machen will, aber in Wirklichkeit, ja, stellt sich die Frage, was ist, wenn man diese Festung gestürmt hat und kommt zu dem Ergebnis, sie ist ziemlich leer. Ja? So! Und dann hab ich auch die Frage weiter gestellt, oder ist mir die Frage gestellt worden, ob ich denn überhaupt die Aufsichtsratsmitbestimmung für den richtigen Weg hielte. Da hab gesagt, bin ich mir nicht so sicher. Aber ich kann das für mich nicht allein entscheiden, das ist wenn eine Organisationsentscheidung, aber man könnt natürlich auch über die Frage nachdenken, wieweit ein Überbau über die Betriebsverfassung, die ja die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten ausklammert, wieweit der zwingend über die Aufsichtsräte erfolgen muss, oder wieweit man die nicht auch innerhalb der Betriebsverfassung weiterentwickeln könnte. So! Das war’s so im Wesentlichen und das ist natürlich schon deshalb von Bedeutung, irgendwie auch ein bisschen für mich vor dem Hintergrund meiner ganzen Erlebnisse, also auch wenn man sieht, was ich seinerzeit zu Möglichkeiten und Grenzen der Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz in seiner Entstehungsphase geschrieben hatte, was ich dann erlebt hatte in den Unternehmen, da hatte ich eigentlich immer relative Ohnmachtserlebnisse, ja, wo ich zwar irgendwo so ein bisschen mitparlieren konnte, bestimmte Dinge, die sich einem spontan erschließen, auch mit angehen konnte, aber letztendlich eigentlich nur eine illustrative Randfigur der Aufsichtsräte war, mit dem man mal ein bisschen diskutieren kann, aber die sich da auch gewisse Achtungserfolge mal verschaffen können, aber wo ich letztlich den Kurs des Unternehmens in seinen Grundfragen nicht nennenswert beeinflussen kann.
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Lorenz Schwegler wurde am 29. Januar 1944 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur studierte er in Hamburg, Lausanne und Berlin Jura. Studium und Referendariat beendete er in Hamburg und begann 1971 als Referent für Arbeits- und Wirtschaftsrecht im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) des DGB. 1972 wechselte er in die Abteilung Gesellschaftspolitik beim DGB-Bundesvorstand. 1971 wurde Schwegler SPD-Mitglied, 1972 Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr.

1977 wechselte Schwegler zur Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), wo er 1980 in den Geschäftsführenden Hauptvorstand gewählt wurde. Auf Vorschlag von Hauptvorstand und Gewerkschaftsausschuss wurde Schwegler 1988 dann zum HBV-Vorsitzenden gewählt, womit er die Nachfolge von Günter Volkmar antrat. Schwegler bemühte sich als Vorsitzender unter anderem auch um Kontakte zur konkurrierenden Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG).

Lorenz Schwegler war sowohl als Aufsichtsratsmitglied der Dresdner Bank als auch der Deutschen Bank tätig. Ein weiteres Aufsichtsratsmandat bei der gewerkschaftseigenen Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG (BGAG) verursachte ihm Probleme, da er sich gemeinsam mit anderen Aufsichtsratsmitgliedern wegen des Verkaufs der co op AG verantworten musste.

Bestrebungen Schweglers, die Strukturen der HBV und des DGB insbesondere auch nach der deutschen Wiedervereinigung zu reformieren, trafen nicht zuletzt innerhalb der HBV auf Widerstände. Aufgrund der anhaltenden Kritik, die seine Reformversuche begleitete, trat er Ende Oktober 1993 vom Amt des Vorsitzenden zurück. Schwegler ließ sich anschließend als Anwalt für Arbeitsrecht in Düsseldorf nieder.

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