Wolfgang Schultze

IG Chemie-Papier-Keramik
IG Chemie-Papier-Keramik
Video 1 – 4:29
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Video 2 – 3:56
Bildungsurlaubi
Arbeitgeberi
Berufliche Qualifikationi
Bildungi
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Gleichstellungi
Solidaritäti
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)i
Wiedervereinigungi
Video 3 – 4:00
Unternehmeni
Co op AGi
35-Stunden-Wochei
Leiharbeiti
Mindestlohni
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Arbeitsverhältnisi
Und diese ganzen Aktivitäten, DGB-Jugend, IG Chemie-Jugend und Jugendvertreter und so was alles hat dann … brachte dann folgende Situation: 1958 wurde hier in Hannover beim DGB für Hannover und Umgebung ein Jugendsekretär gesucht, das war sozusagen die Blütezeit der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. Der DGB hatte in fast allen mittleren Städten hauptamtliche Jugendsekretäre, die auch gut ausgerüstet waren, entweder ein ... ein Motorrad hatten oder später eine Isetta oder also ganz untere Klasse, aber sie waren außerordentlich mobil für die damalige Zeit und in Hannover, wie gesagt, wurde ein Jugendsekretär gesucht und vorher gab es schon … war ich schon mal aufgefordert worden von Hermann Rappe, mich zu bewerben in Nordrhein-Westfalen bei der IG Chemie für Bezirksjugendsekretär in Düsseldorf. Da wurde aber ein anderer, zu meiner Beruhigung muss ich sagen, gewählt, weil ich mich da einfach noch überfordert gefühlt hatte, in einem Land, was ich gar nicht kannte, auf einmal so eine übergeordnete Funktion ausüben zu sollen, und dann hab ich die große Stadt Düsseldorf da gesehen, als ich mich da vorstellte. Um Gottes Willen, habe ich gedacht, also jedenfalls wurde Gott sei Dank ein Kollege gewählt, wir sind heute noch befreundet, Adolf Pates, und ich kam zurück nach Hannover und ich muss sagen, ich wusste ja schon, dass es hier um einen DGB-Jugendsekretär ging, das hat vielleicht auch meine Vorstellung in Düsseldorf ein bisschen beeinflusst. Und als ich dann zurück war und das war dann nichts geworden, wurde das hier konkret und dann wurde ich auf einmal aufgefordert, relativ schnell mich zu entscheiden. Dann hab ich mich hier beworben beim DGB-Landesbezirk in Niedersachsen, Hermann Grothe war damals DGB-Landesvorsitzender, Adolf Heidorn sein Stellvertreter, und dann haben sie gesagt, willst du da Jugendsekretär werden. Sie können sich das überlegen und dann haben wir noch über Geld geredet, auch so eine erstaunliche Sache. Ich verdiente, weiß ich noch bis heute, damals 530 DM im Monat als Werkzeugmacher, das war eigentlich ganz gut und dann sagten sie, ja, so viel können wir für einen Jugendsekretär nicht bezahlen. Bist du denn auch bereit, für etwas weniger das zu machen. Ich hab gesagt, okay, das bin ich, denn diese Entscheidung ist ja doch so richtungsweisend, da kann man jetzt nicht auf 20, 30 Mark gucken da im Monat und hab das ehrlich gemeint und heute könnte man sagen taktisch gut, aber ich hab das wirklich ehrlich gemeint, das kann ich heute so sagen. Jedenfalls wurden wir dann, es war noch eine andere Stelle zu besetzen in Göttingen, da war auch ein Bewerber da, es gab keine Mitbewerber, sondern man wurde da selektiert geprüft und dann kriegte man mitgeteilt, ob man geeignet war. Also das war eine ganz andere Welt, man konnte sich da schlecht bewerben, man wurde gefragt und dann wurde man vielleicht zur Bewerbung aufgefordert und das hieß auch noch nicht, dass man genommen wurde, aber man wurde getestet und irgendwie passte man ins Bild oder eben nicht. So bin ich dann DGB-Jugendsekretär geworden 1958 und eine dieser genussvollen Minuten waren dann, dass ich nun eine Kündigungsfrist hatte bei der Firma, aber beim DGB erwartete man, dass ich früher komme. Und dann bin ich schließlich zum Personalchef gegangen, der mich ja nun aufm Zuge hatte, und habe gesagt, ich hätte mal eine Bitte. Da hat er mich groß angeguckt. Ich sage, da gibt’s aber ein Problem, wo Sie mir vielleicht helfen können. Ja, sagt er, was haben Sie denn. Da sag ich, ja, ich wollte kündigen. Ach, guckt er mich ganz groß an und sagt, wo ist das Problem. Ich sag, ja, ich möchte die Kündigungsfrist nicht einhalten, ich möchte binnen einer Woche hier weg, weil ich möglichst an der neuen Stelle so schnell wie möglich anfangen kann, weil sie vakant ist und schnell besetzt werden muss. Und da war er richtig noch mal wütend, und ich konnte das Grinsen auch nicht verschweigen (lacht) oder jetzt vermeiden, besser gesagt, und dann hat er gesagt, also wenn es das das Einzige ist, das ist dann so in Ordnung.
Und da muss ich ja sagen, da ich nun selber so eine, ja, mit heutigen Verhältnissen eigentlich ja nur eine gebrochene Ausbildung oder auch Bildung selbst an der Schule gehabt habe, und ich auch selber wusste, also was heute Tausende Professoren wissen und auch verbreiten als Neuigkeit, dass die Bildungs- … die Berufschancen davon abhängen, aus welchem Sozialmilieu ... aus welchem sozialen Milieu man kommt, welche Sprachstrukturen da beherrsch... vorherrschend sind. Das hab ich in der Jugendgruppe den anderen erklärt, ich sage, wir haben durch unsere Eltern, die alle mehr oder weniger handwerklich tätig sind, nicht gelernt, kannst du mir bitte mal die Gabel geben, sondern Gabel, so wie der Arzt heute sagt, also Schere oder Messer oder so, dann sagt der auch nicht, dürfte ich … wären Sie bitte so freundlich, mir das Messer zu reichen oder so. So haben wir alle eine Sprachkultur bekommen, die uns natürlich unterlegen aussehen lässt gegenüber denen, die nun qualifiziert in der deutschen Sprache ausgebildet waren und insofern haben wir immer gesagt, die Durchlässigkeit des Bildungssystems muss … müssen wir verbessern, sodass auch Spätentwickler eine Chance haben. Wir müssen andere Abschlüsse so wertigen, dass sie eben auch noch eine Quereinsteigemöglichkeit bieten, und vor allen Dingen, wo ich mich dann mehr auch spezialisiert habe, war dann eben weiterzugeben die Überzeugung, dass die Demokratie keine angeborene Lebensform der Menschen ist, sondern ein ganz, ganz schwieriger Erziehungsprozess muss unser persönliches Verhalten begleiten, sonst wird das nix. Ansonsten haben wir, nach meiner unwissenschaftlich, man muss ja vorsichtig sein, wenn man über Gene redet, aber ich denke mal so nach meiner unwissenschaftlichen Interpretation sind wir alle noch gestrickt auf Platzhirschverhalten und das ist natürlich unsolidarisch, und was wir in der Demokratie durchgesetzt haben, dass die Menschen gleichberechtigt sind unabhängig vom Geschlecht, vom Alter, oder ob sie leistungsstark oder schwach sind und dass man das Naturprinzip eigentlich umstellt, dass nämlich der Starke dem Schwachen zu helfen hat und nicht umgekehrt, den Schwachen an die Wand drängen kann, um über ihn hinweg seine Karriere oder seine Interessen durchzusetzen. Und das ist ein Erziehungsprozess, der leider in den letzten … also vor allen Dingen seit der Wiedervereinigung völlig verlorengegangen ist. Alle glauben, das demokratische System habe gesiegt und nun kommt das so, aber Demokratie ist ein Erziehungsprozess und kein sich selbst einstellender Form von menschlichem Zusammenleben. Und so hab ich das immer wieder thematisiert und wenn man das dann so sieht, als ich dann beim DGB diese Kompetenz hatte ab 72 und dann wurde ich auch angesprochen von der SPD-Landtagsfraktion, Walter Theuerkauf, Reinhard Scheibe, die waren damals Mitarbeiter der Fraktion, wir kannten uns aus anderen Zusammenhängen, und da haben die gesagt, ja, wenn du denn was für die Bildung tun willst, dann müssen wir doch mal davon ausgehen, dass auch die Arbeitnehmer Bildungsurlaub brauchen. Wieso, hab ich gesagt, Bildungsurlaub. Ja, sonst das lebenslange Lernen und so sind wir da in das Gespräch gekommen, und dann haben wir hier zusammen mit dem DGB Niedersachsen und der SPD-Landtagsfraktion 1973/74 das Modell eines Bildungsurlaubs für Arbeitnehmer entwickelt als erste in der Bundesrepublik. Es ist ja Ländersache. Es gab große Widerstände natürlich aus dem Arbeitgeberlager. Es sollte auch nicht jeder jedes Jahr 14 Tage Bildungsurlaub haben, das wurde quantifiziert, sodass es erträglich wurde, und dann hat die SPD das auch zum Wahlprogramm gemacht zur Landtagswahl 1974.
Ich meine, ich bin ja in der Zeit auch irgendwo da mit in dieser Verantwortung gewesen. Alle Vorstandsmitglieder haben ja irgendwo das alles mitgesehen. Ich glaube, dass wir, was die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen angeht, ganz einfach der späteren Ausdifferenzierung und Produktivitätssteigerung der Mitbewerber nicht haben realisieren können. Und das ist dann daran gescheitert, dass wir … Also wenn ich mal zum Beispiel nehme die co op-Story, die noch eigene Produktionsstätten hatten, ne, weiß ich, Waschpulver und was weiß ich was alles selber gemacht wurde, Schlachtereien und Wurst und Käse und so was alles, das heißt, da konnte eins nicht gehen, dass die, die in den Unternehmen der Gemeinwirtschaft arbeiteten, erstens, sagen wir mal, besser bezahlt waren als all die andern, zweitens nicht so effektiv waren, also mehr Personalkosten hatten als die vergleichbaren Branchen und das war nicht voreinander zu bringen, weil die Mitglieder von NGG oder HBV, oder wie die ... wer da grade zuständig war, haben gesagt, das ist doch ein Gewerkschaftsunternehmen, da müsst ihr doch mit gutem Beispiel vorangehen. Also machen wir als Erstes die 35-Stunden-Woche und dann machen wir auch keine Sonntagsarbeit und bei den Nachtschichten kriegen wir doppelt so viel oder so, das heißt, und auf der anderen Seite stimmte dann auch nicht immer die Qualität des Produktes. Ich will mal so sagen, es gibt sehr unterschiedliche Entwicklungen. Ich würde die Eigenbetriebe co op, die Handelskette co op sehr unterscheiden von der Entwicklung Neue Heimat. Das hab ich überhaupt nicht begriffen. Das waren ja nun wirklich also Immobilienwerte da in Milliardenhöhe. Da ist eine ganz andere Story eben gelaufen, dass dort ein selbstherrliches, also als ich damals, ich muss mal überlegen, war ich da schon beim DGB oder war es davor, wenn denn sozusagen gnadenvoll ein Kollege von der Neuen Heimat kam und sagt, du, willst du mal richtig essen gehen, ich lad dich mal ein, so ungefähr war das Verhältnis manchmal. Das heißt, da hat dann der Schwanz mit dem Hund gewackelt, ne, und wir haben dann manche Tagung zur Gemeinwirtschaft gehabt mit erheblichen kritischen Auseinandersetzungen, immer wieder und immer wieder, aber am Ende ist die… diese Idee, das was wir selber machen, also die Qualität des Produktes, die Kostengünstigkeit, die Zuverlässigkeit ringsherum und dann auch noch … Das haben wir alles nicht hingekriegt und dann sind die in dieser marktwirtschaftlichen Auseinandersetzung einfach vor die Wand gelaufen und leider ist dann das … ist auch nicht rechtzeitig die Rettungsbremse gezogen. Ich weiß das, Matthöfer hat dann noch was probiert und alle möglichen mit sehr viel gutem Willen und Engagement und so weiter und hier haben wir sogar nachher in Niedersachsen, da waren damals die Neuen-Heimat-Wohnungen gar nicht verkäuflich, weil sie keiner haben wollte, also mussten sie zurückbleiben und nach 10 Jahren waren sie auf einmal wieder dreifach wertvoller, also das ist schon eine irre Welt. Kein Ruhmesblatt und, wie gesagt, jeder von uns, der damals irgendwo Verantwortung hatte, ist eigentlich mit ... mit dabei gewesen und hat’s auch mit zu verantworten, aber es hat auch gezeigt, das alles aus einer Hand zu machen eben auch nicht immer gelingt, oder in dem Falle nicht gelungen ist. Insofern sind die Spannungspositionen Kapitalinteresse, Arbeitsinteressen, Arbeitnehmerinteressen sozusagen in bestimmten Institutionen auszutragen und Lösungen zu finden, wahrscheinlich leistungsfähiger. Nur jetzt aktuell wieder auf all das, was wir besprochen haben, auf die Rückwirkungen auf die verschiedenen diffusen Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen geht natürlich der Druck in die falsche Richtung und da muss man eben sagen, Leute, das kann so nicht gehen. Ob das Mindestlohn ist oder Leiharbeit oder Befristung und solche Dinge.
Herunterladen Drucken

Wolfgang Schultze wurde am 11. Februar 1936 in Hannover geboren. Nach dem Besuch der Volkschule absolvierte er von 1951 bis 1954 eine Lehre als Werkzeugmacher und trat gleich mit Ausbildungsbeginn der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik (IG CPK) bei. Nach vier Jahren Gewerkschafts- und Berufserfahrung wurde Schultze 1958 Jugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) im Kreis Hannover, ehe er ein Jahr später zur IG CPK wechselte und dort bis 1972 als Sekretär für den Bezirk Niedersachen arbeitete. Zwischen 1972 und 1980 war er hauptamtliches DGB-Vorstandsmitglied in Niedersachsen. Ab September 1980 fungierte Schultze als Mitglied des Hauptvorstands und von September 1988 bis April 1996 auch als stellvertretender Bundesvorsitzender der IG CPK. Bis 2001 schließlich war er Arbeitsdirektor der Preussag AG.

Seit 1955 Mitglied der SPD, vertrat er die Sozialdemokraten zwischen 1974 und 2003 im Niedersächsischen Landtag und war dort von 1990 bis 2003 Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr. Wegen seiner vielfältigen Verdienste um die Erwachsenenbildung wurde Schultze 1993 die Ehrendoktorwürde der Universität Oldenburg verliehen.

Herunterladen Drucken